Energie- / Umwelttechnik

Neuer MSC-Standard für nachhaltigen Fisch und Meeresfrüchte – Blaue Zukunft oder blaues Scheitern?

Die internationale Meeresschutzkoalition veröffentlicht ihre abschließende Bewertung des neuen Zertifizierungsstandards des Marine Stewardship Council für Seefisch und Meeresfrüchte und kommt zu dem Schluss, dass dieser nicht weit genug geht, um gefährdete Arten wirklich zu schützen.

Make Stewardship Count, ein internationaler Zusammenschluss von mehr als 90 Meeresschutzorganisationen, Experten und Wissenschaftlern, hat heute die finale Auswertung für den neuen Fischereistandard des Marine Stewardship Council (MSC) veröffentlicht. Eine Reihe kritischer Defizite, deren Verbesserung die Koalition vom MSC im Rahmen der mehrjährigen Standardüberprüfung gefordert hatte, wurden zwar im neuen Standard verbessert, jedoch enthält dieser noch mehrere beunruhigende Schlupflöcher. Die endgültigen Scorecards – basierend auf einem Ampelsystem – blieben daher, zumeist rot und gelb.

Der MSC-Fischereistandard bildet den Rahmen für die Bewertung der Umweltauswirkungen einer Fischerei und das Vorhandensein eines effektive Fischereimanagements, die jeweils erfüllt sein müssen, bevor eine Fischerei das blaue MSC-Siegel tragen darf. Die Verbraucher vertrauen darauf, dass das Siegel – das weltweit mehr als 20.000 Produkte schmückt – für nachhaltig und ethisch gefangenen Seefisch und Meeresfrüchte steht. Die Koalition befürchtet jedoch, dass das Siegel auch weiterhin an Fischereien vergeben werden wird, die routinemäßig bedrohte Meeresbewohner fangen, mit massiver Verschwendung von Leben im Meer einhergehen, marine Ökosysteme schädigen und weiterhin überfischte Arten fangen.

Der erste Entwurf für den neuen Standard gab Anlass zu Optimismus, denn er enthielt eine Anforderung für ein wissenschaftlich fundiertes Mindestmaß an unabhängiger Überwachung aller Fangaktivitäten. Eine solche Mindestquote an Überwachung hätte ein besseres Verständnis für die Auswirkungen einer Fischerei auf bedrohte Arten ermöglicht und eine Bewertung der Wirksamkeit getroffener Maßnahmen zur Abmilderung der Auswirkungen erlaubt. Zur großen Enttäuschung der Koalition wurde im endgültigen Standard dieser Vorschlag für ein Mindestmaß an Überwachung für alle Fischereien bis auf die Hochseefischerei aber komplett gestrichen.

"Die jüngste Überarbeitung des Fischereistandards hätte dem MSC eine historische Chance geboten, im Laufe des nächsten Jahrzehnts echte Verbesserungen im Fischereimanagement auf internationaler Ebene voranzutreiben, insbesondere im Hinblick auf eine verstärkte Überwachung auf See und die Einhaltung von geltenden Vorschriften", sagte Shannon Arnold, leitende Koordinatorin für Meeresprogramme beim Ecology Action Centre. "Wie bei anderen Teilen des Standards waren auch hier die Absichten des MSC auf dem richtigen Weg und oberflächlich betrachtet sind die Bewertungsmaßstäbe des neuen Standards tatsächlich stringenter, aber der Teufel steckt wie immer im Detail, und diese Details sind die vielen enthaltenen Schlupflöcher, Ausnahmeregelungen und unzureichenden Definitionen, die die guten Absichten bei der tatsächlichen Zertifizierung untergraben werden.“

Während der gesamten Standardüberprüfung hatte die Koalition den MSC immer wieder aufgefordert, seine Anforderungen für den Schutz gefährdeter, bedrohter und geschützter Arten (Endangered, Threatened, and Protected) zu verschärfen, und ist daher erfreut zu sehen, dass der neue Standard die Anforderungen zur Reduzierung der Fischereiauswirkungen auf bedrohte Arten tatsächlich verschärft hat. Die Definitionen für eine Art als ETP-Art sind so wie jetzt getroffen jedoch bedenklich, denn alle auf der Roten Liste der IUCN (International Union for Conservation of Nature) als "gefährdet" eingestuften Arten – eine wesentlich Forderung von Make Stewardship Count – wurden dabei komplett ausgelassen. Der neue Standard könnte zudem dazu führen, dass einige aus wirtschaftlicher Perspektive wertvolle Fischereien auf ETP-Arten dennoch mit dem blauen Siegel des MSC ausgezeichnet werden, da es den Zertifizierern erlaubt ist die ETP-Definition mittels einer Reihe von Kriterien aufzuheben, Kriterien die nach Ansicht der Koalition dem Vorsichtsprinzip nicht ausreichend genüge leisten.

Ein bemerkenswerter Pluspunkt in der Scorecard ist die neue Anforderung an MSC-Fischereien, eine Vorschrift implementiert zu haben, nach der Haie mitsamt all ihrer Flossen auf natürliche Weise am Körper befindlich, angelandet werden müssen.

"Wir haben ‚Fins Naturally Attached‚ als Voraussetzung für eine MSC-Zertifizierung gefordert und begrüßen es daher, dass der MSC endlich diese weltweit anerkannte Best Practice ohne jede Ausnahme einführt", so Dr. Iris Ziegler, Leiterin für internationale Zusammenarbeit bei Sharkproject. "Ohne ein verpflichtendes Mindestmaß an Überwachung auf Einhaltung der Vorschriften besteht jedoch die Gefahr, dass es sich dabei wieder nur um einen Papiertiger handelt ohne reale Verbesserungen für den Haischutz zu bewirken, zumal die meisten Fischereien noch bis 2028 – also sechs weitere Jahre – Zeit haben werden, bevor sie die neuen Anforderungen erfüllen müssen."

Die Koalition stellte bezüglich ihrer Forderung nach verbesserter Transparenz auch fest, dass der Überprüfungsprozess für den neuen Fischereistandard (FSR) 3.0 sich im Vergleich zu früheren Überprüfungen durch eine verbesserte Kommunikation mit den Interessengruppen und mehr Möglichkeiten zur Beteiligung im Rahmen von Workshops und Webinaren auszeichnete. Leider gab es dagegen für die Interessengruppen in der kritischsten Phase des Prozesses – zwischen dem letzten Entwurf und der Veröffentlichung des finalen Standards – nur eine einzige Gelegenheit zum Feedback.

"Als aktive Teilnehmer und sehr engagierte Stakeholder war es für uns sehr enttäuschend zu sehen, dass der MSC so viele Anstrengungen unternommen hat, um die Transparenz des Prozesses zu verbessern, nur um sie dann in der letzten Phase der Entscheidungsfindung wieder weitgehend verpuffen zu lassen und mehrere wichtige Verbesserungen zu vereiteln", sagte Kate O’Connell, Beraterin für Meerestiere beim Animal Welfare Institute. "Viele der besorgniserregendsten Rückschritte waren politisch motiviert und fanden in dieser Phase statt, wie z.B. der Wegfall des geforderten Mindestmaßes an Überwachung und die Verifizierung der Einhaltung von Bestimmungen für die meisten Fischereien und die Entscheidung, auch weiterhin Fischereien zu zertifizieren, die vorsätzlich Meeressäuger schikanieren, misshandeln oder gar töten."

Die Änderungen des MSC-Fischereistandards traten am 1. Mai 2023 in Kraft.

"Es ist unmöglich zu wissen, ob und wie sich diese neuen Bestimmungen im Rahmen der Zertifizierungen wirklich auswirken werden, bevor sie im Zuge der verpflichtenden Gültigkeit des neuen Standards im Laufe der nächsten sechs Jahren zur Anwendung kommen", sagte Dr. Cat Dorey, unabhängige Beraterin für Nachhaltigkeit im Fischereibereich. "Der MSC wird es schwer haben, sicherzustellen, dass die von ihm zertifizierten Fischereien die ehrgeizigen Ziele für nachhaltiges Management und biologische Vielfalt erfüllen, die das Global Biodiversity Framework für 2030 vorgibt.“

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