Fahrzeugbau / Automotive

BGH erklärt D&O-Deckungsvergleich im VW-Dieselkomplex für nichtig – auch Haftungsvergleiche wegen des vertraglichen Bedingungszusammenhanges nichtig

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinem heutigen Urteil in der Sache II ZR 154/23 eine grundlegende Entscheidung im VW-Dieselkomplex getroffen. Der Beschluss der VW-Hauptversammlung 2021 über den Vergleich mit den D&O-Versicherungen ist für nichtig erklärt worden. Im Übrigen verweist der BGH in Bezug auf die Beschlüsse über die Vergleiche mit den Herren Winterkorn und Stadler (Haftungsvergleiche) zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz (OLG Celle) zurück. Nach dem Verständnis der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK) ist aufgrund des vertraglichen Bedingungszusammenhanges von D&O-Deckungsvergleich und dem jeweiligen Haftungsvergleich klar: Weder die Haftungsvergleiche mit den ehemaligen Vorstandsmitgliedern noch der Deckungsvergleich mit den D&O-Versicherungen haben Bestand. Die haftungsrechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals beginnt von vorn.

Für die SdK hatte die Kölner Kanzlei Wilken Rechtsanwälte seit August 2021 die Beschlüsse der VW-Hauptversammlung 2021 angefochten. Die Kläger beanstandeten insbesondere die mangelhafte Information der Aktionäre über:

  1. die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der Vergleichsgegner, namentlich der Herren Winterkorn und Stadler,
  2. den Umfang des Anspruchsverzichtes im D&O-Deckungsvergleich, der Freistellungen für bis zu 170 aktuelle und ehemalige Organmitglieder des VW-Konzerns enthielt, sowie
  3. die generelle Unbestimmtheit der Beschlüsse.

Der BGH gab der Klage nun in den wesentlichen Punkten statt:

Die Tagesordnung der Hauptversammlung im Jahr 2021 habe zentrale Informationen nur unzureichend dargestellt und vorenthalten. Der durchschnittliche Aktionär habe deshalb keine hinreichende Entscheidungsgrundlage für eine informierte Stimmabgabe gehabt.

„Der BGH hat heute die Aktionärsrechte gestärkt: Eine unklare oder unbestimmte Beschreibung von Tagesordnungspunkten in einer HV-Einladung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen – dies ist kein Bagatellverstoß.“, kommentiert Dr. Oliver Wilken das Urteil.

In seiner Urteilsbegründung betont der BGH:

Der durchschnittliche Aktionär habe anhand der Tagesordnung nicht erkennen können, dass mit dem D&O-Deckungsvergleich auch auf Schadensersatzansprüche gegen eine große Zahl weiterer Organmitglieder des VW-Konzerns verzichtet werden sollte. Dies hätte ausdrücklich und eindeutig in der Tagesordnung ausgewiesen werden müssen.

Bei den Individualvergleichen mit den Herren Winterkorn und Stadler fehlte es laut BGH möglicherweise an der gebotenen Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse – eine unerlässliche Grundlage, um den Wert und die Angemessenheit der Eigenbeiträge beurteilen zu können. Die erteilten Auskünfte, insbesondere zu den bezogenen Einkünften, genügten laut BGH hierfür nicht, weil sich aus diesen Angaben nicht erschließe, in welchem Umfang etwaige Haftungsansprüche durch eigenes Vermögen der ehemaligen Vorstandsmitglieder gedeckt gewesen wären. Der BGH konnte auf der Grundlage der Feststellung der Vorinstanzen nicht zuverlässig ableiten, ob die in der Hauptversammlung der VW AG erteilten Auskünfte hinreichend waren. Dazu verweist er zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz.

„Mit der heutigen Entscheidung des BGH stehen wir wieder ganz am Anfang. Die Frage, ob und in welchem Umfang Organe des VW-Konzerns im Dieselskandal haften, ist neu zu bewerten – und zwar auf dem jetzigen Erkenntnisstand und unter Einbeziehung aller inzwischen vorliegenden strafrechtlichen Erkenntnisse. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die strafprozessualen Verfahren gegen Herrn Stadler sowie den Strafprozess gegen vier frühere VW-Führungskräfte vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgericht Braunschweig (einschließlich der jüngst ergangenen Verurteilungen)“, so Dr. Wilken weiter.

Als Folge des BGH-Urteils gerät nun auch der Aufsichtsrat im VW-Konzern unter Druck:

Der Aufsichtsrat trägt nicht nur Verantwortung für eine hinreichende Corporate Governance. Vielmehr trifft ihn – nach Maßgabe der sog. ARAG/Garmenbeck-Rechtsprechung – auch die Pflicht, unverzüglich alle Haftungsansprüche gegen aktuelle und ehemalige Organmitglieder im VW-Konzern zu verfolgen.

In diesem Zusammenhang stellt sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage, ob und in welchem Umfang sich der derzeitige Aufsichtsrat des VW-Konzerns weiterhin auf die bislang eingeholten Sondergutachten seiner langjährigen Berater stützen darf – insbesondere im Hinblick auf deren Unabhängigkeit und Aktualität. Es liegt nahe, dass diese Fragen – auch im Lichte potenzieller Organhaftungsrisiken – Gegenstand weiterer und intensiver rechtlicher Auseinandersetzungen sein werden.

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