Gesundheit & Medizin

Mit Leuchtmarkern Hirnerkrankungen besser verstehen

  • Dank eines neuartigen Verfahrens können erstmals wichtige Typen von Immunzellen im Gehirn unterschieden und ihre Rolle bei Krankheiten des Gehirns gezielt untersucht werden
  • Studie im Fachmagazin Nature Immunology erschienen

Parkinson, Alzheimer, Multiple Sklerose: Immunzellen des Gehirns sind vermutlich an allen neurologischen Erkrankungen beteiligt. Doch die Rolle unterschiedlicher Zelltypen war bislang kaum zu beurteilen. Nun hat ein internationales Forscherteam unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Charité – Universitätsmedizin Berlin, der Technischen Universität München und des Weizmann Instituts für Wissenschaften in Israel neue Einblicke in das hirneigene Immunsystem erlangt. Es gelang den Forscher*innen mit der neuartigen, hochauflösenden Technik der Einzelzell-Analyse, einzelne Typen hirneigener Immunzellen, Mikroglia genannt, zu unterscheiden und getrennt von Immun-Fresszellen zu untersuchen, die erst im Laufe des Lebens ins Gehirn einwandern. Dafür identifizierte das interdisziplinäre Team zunächst genetische Merkmale, die nur in den Zielzellen vorkommen, und schaltete die Zellen dann mit Hilfe von genetischen Werkzeugen ab – oder brachte sie zum Leuchten. So lässt sich nun der konkrete Beitrag unterschiedlicher Immunzellen im Gehirn untersuchen. Die Methode, die am 15. Juni 2020 im Fachmagazin Nature Immunology erschien, kann nun von Forscher*innen weltweit genutzt werden.

„Bisher mussten wir immer verschiedene Typen von Immunzellen im Gehirn gleichzeitig betrachten. Mit unserem neuen Vorgehen können wir jetzt erstmals präzise die Rolle unterschiedlicher Immunzellen im Gehirn bei neuronalen Krankheiten untersuchen“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum Freiburg und Mitglied im Freiburger Exzellenzcluster CIBSS – Centre für Integrative Biological Signalling Studies der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Mit Molekulargenetik und leuchtenden Proteinen das hirneigene Immunsystem erforschen

Die Forscher*innen konnten unter Zuhilfenahme des CRISPR/Cas9-Systems, einer sogenannten Genschere, je nach Zelltyp DNA-Bausteine im Erbgut von Mäusen so verändern, dass Mikrogliazellen farblich markiert oder abgeschaltet wurden. Durch das Einfärben der Immunzellen können Forscher*innen künftig auch neue Einsichten in die Kommunikation mit den Nervenzellen erlangen.

Ein großes Problem lag für die Neurowissenschaftler*innen bislang darin, dass es neben Mikrogliazellen in der Tiefe des Gehirns auch Makrophagen an der Hirnoberfläche und um die Blutgefäße gibt, für die unterschiedliche Funktionen vermutet wurden, die bislang aber nicht gezeigt werden konnten. Jetzt können Wissenschaftler*innen weltweit die in Freiburg entwickelten Methoden verwenden, um Mikroglia in Mäusen gezielt zu beeinflussen und so auch die Rolle der Makrophagen genauer zu untersuchen. „Die Vielfalt der Makrophagen und deren gezielte Veränderung eröffnen zukünftig neue und spezifischere Therapieansätze“, fasst Prinz zusammen.

Mikroglia übernehmen als hirneigene Immunwächter im gesunden und kranken Gehirn viele verschiedene Aufgaben, von der Versorgung mit Nährstoffen bis hin zur Reparatur des Gewebes. In den letzten Jahren wird ihnen zunehmend auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung zahlreicher degenerativer Hirnerkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, aber auch bei entzündlichen Erkrankungen wir Multiple Sklerose und bei Hirntumoren zugeschrieben. So sind die Mehrzahl der genetischen Risikofaktoren für Alzheimer und Multipler Sklerose in Mikrogliazellen im Gehirn zu finden. Deshalb sind Wissenschaftler*innen auf der ganzen Welt sehr daran interessiert, Mikrogliazellen detaillierter zu verstehen, um diese zukünftig gezielt therapeutisch verändern zu können.

„Mikrogliazellen sind aber auch für die Hirnentwicklung entscheidend“, wie Lukas Amann, Biologe und einer der Erstautoren vom Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg, hinweist. „Da sie überzählige Nervenzellverbindungen im kindlichen Gehirn kappen, werden Mikroglia auch als potentielle Ziellzellen für Therapeutika bei entwicklungsbedingten neuropsychiatrischen Erkrankungen gesehen“, sagt Amann. Da diese nun mit Hilfe der neuartigen Methoden der Freiburger Forscher*innen zunächst im Tiermodell genauer untersucht werden können, dürfte sich bald ein wesentlich präziseres zelluläres Bild des erkrankten Gehirns ergeben.

Original-Titel der Studie: Novel Hexb-based tools for studying microglia in the CNS

DOI: 10.1038/s41590-020-0707-4

Link zur Studie: www.nature.com/articles/s41590-020-0707-4

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