Gute Daten sind kein Selbstzweck, sondern Grundstein für gute Patientenversorgung und medizinischen Fortschritt
Konkreter Anlass für diesen Appell sind zwei aktuelle Bewertungen von Hochrisiko-Verfahren am Herzen bei schwer kranken Erwachsenen. Über mehrere Stufen eines Bewertungs- und Beratungsverfahrens zeigte sich plastisch, wie sich gute Studienergebnisse und Datentransparenz in der Nutzenbewertung und damit auch in der Versorgung niederschlagen: In der einzigen randomisierten Studie zu perkutan implantierten interatrialen Shunts bei Herzinsuffizienz wurden Daten zu Krankenhauseinweisungen zwar erhoben, doch trotz Nachfrage wird die Gesamtzahl von Krankenhauseinweisungen nicht offengelegt. Auch zur Gesamtrate der unerwünschten Ereignisse fehlten Angaben. Die lückenhaften Daten führen dazu, dass Nutzen und Schaden letztlich offenbleiben. Eine derartige Unsicherheit ist auch für die praktische medizinische Versorgung mit einem solchen Hochrisiko-Medizinprodukt sehr kritisch, weil eine individuelle Risikoabwägung erschwert wird.
Im Gegensatz dazu entwickelte sich aus anfangs ebenfalls aussageschwachen Daten zum endovaskulären Trikuspidalklappenersatz bei Herzklappeninsuffizienz aussagekräftige Evidenz innerhalb von zwei Jahren, die das IQWiG in einer Bewertung gemäß §137h plus drei Addenda überprüft hat: Anhand der Studienberichte ist deutlich geworden, dass die Vorteile für Patientinnen und Patienten hier die Schadensaspekte überwiegen – also gute Aussichten für die Patientenversorgung und den medizinischen Fortschritt.
Interatrialer Shunt bei Herzinsuffizienz: keine Daten und keine Erfolgsaussichten bei hohen Risiken
Bei Herzinsuffizienz ist der Blutfluss und damit die Sauerstoffversorgung im Körper gestört, was u. a. zu körperlicher Schwäche und Wassereinlagerungen führen kann. Bei einer verminderten Auswurfleistung des Herzens (reduzierte linksventrikuläre Ejektionsfraktion, LVEF < 40 %) ist die Herzinsuffizienz bereits fortgeschritten. Der erhöhte Druck im linken Vorhof des Herzens (linksatrial) könnte sich durch die Implantation eines sogenannten interatrialen Shunts verbessern, einer direkten Verbindung zwischen linkem und rechtem Vorhof des Herzens.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hatte das IQWiG daher mit einer Bewertung gemäß §137h plus Addendum und zuletzt einer Nutzenbewertung der Behandlung mit perkutan implantiertem interatrialem Shunt zusätzlich zur leitliniengerechten medikamentösen Behandlung im Vergleich zu einer alleinigen leitliniengerechten medikamentösen Behandlung beauftragt: Bis heute liegen allerdings keine vollständigen Daten für eine abschließende Bewertung vor.
Eine klinische Studie (RELIEVE-HF) mit insgesamt 206 Patientinnen und Patienten untersuchte genau diese Fragestellung. Jedoch liegen Angaben zu Nebenwirkungen nur teilweise vor, obwohl die Daten laut Studienprotokoll erhoben werden sollten und obwohl bei der Leitung der herstellerfinanzierten Studie nachgefragt wurde. Insbesondere fehlen Ergebnisse zur Gesamtrate schwerwiegender unerwünschter Ereignisse, aber auch die Zahl von Hospitalisierungen insgesamt. Denn das nach Shunt-Implantation geringere Risiko einer Krankenhauseinweisung wegen Herzinsuffizienz wäre nur dann ein Vorteil des Eingriffs, wenn sich die Zahl von Hospitalisierungen insgesamt nicht erhöht.
So bleiben Nutzen und Schaden des interatrialen Shunts bei Erwachsenen mit Herzinsuffizienz unklar – bis anhand der vollständigen Studienergebnisse eine umfassende Beurteilung möglich ist.
Endovaskulärer Trikuspidalklappenersatz: Erkenntnisse in Trippelschritten
Wie wichtig vollständige Studienberichte sind, um zu Erkenntnissen über Nutzen und Schaden einer neuen medizinischen und invasiven Methode zu kommen, zeigt das Verfahren zur endovaskulären Implantation eines Transkatheter-Trikuspidalklappenersatzes bei Patientinnen und Patienten mit hochgradiger Trikuspidalklappeninsuffizienz, für die beispielsweise wegen des operativen Risikos ein chirurgisches Verfahren (zur Klappenreparatur oder zum Klappenersatz) nicht geeignet ist. Im Auftrag des G-BA hat das IQWiG seit 2023 in mittlerweile einer Bewertung plus drei Addenda geprüft, ob diese neue Behandlungsmethode mit einem Medizinprodukt hoher Risikoklasse nach §137h SGB V für Patientinnen und Patienten Vor- und Nachteile hat oder unwirksam ist.
Nachdem zunächst nur Studien ohne Kontrollgruppe vorlagen, reichte das antragstellende Krankenhaus später erste Zwischenergebnisse aus der bereits laufenden randomisierten kontrollierten Studie TRISCEND II ein: TRISCEND II vergleicht 259 Personen mit Implantat mit 133 Personen ohne Implantat. Im November 2024 schloss das IQWiG daraus, dass das Studiendesign grundsätzlich Ergebnisse für eine Nutzenbewertung liefern könnte (Addendum H24-03). In einer Journalpublikation zur TRISCEND II-Studie zeichneten sich zwar positive Effekte der Methode ab, aber es fehlten immer noch Informationen zu den Risiken des Verfahrens. So ließ sich auch im Februar 2025 noch keine Bewertung abschließen (Addendum H24-04).
Gute Daten bieten gute Aussichten für eine gute Versorgung
Im Februar 2025 brachten weitere Studiendokumente zur TRISCEND-II-Studie erstmalig aussagekräftige Patientendaten (mit mäßiger Ergebnissicherheit) nach einer endovaskulären Implantation eines Transkatheter-Trikuspidalklappenersatzes: Nach dem Abgleich aller nun vorliegenden Daten –- auch aus dem Studienbericht – zeigten sich zwar Nachteile der Methode hinsichtlich schwerwiegender unerwünschter Ereignisse, beispielsweise schwere Blutungen und andere Komplikationen (z. B. schwankender Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt oder Blutdruck, Atemwegserkrankungen etc.). Diese Nebenwirkungen, insbesondere innerhalb von 30 Tagen nach Trikuspidalklappen-Implantation, dürften allerdings zum Großteil bei früher Erkennung und Behandlung reversibel sein. Und so überwiegen diese Nachteile die Vorteile bezüglich Gesundheitszustand und gesundheitsbezogener Lebensqualität nicht: Symptome und Beschwerden bei den Betroffenen nahmen nach dem Eingriff ab und gleichzeitig besserten sich körperliche, psychische und soziale Einschränkungen im Lebensalltag. Das ist besonders relevant für Menschen mit starken täglichen Beeinträchtigungen wie bei Herzklappeninsuffizienz.
Die mit den Nebenwirkungen verbundenen Risiken spielen aber eine wesentliche Rolle bei der individuellen Entscheidung von Patientinnen und Patienten für oder gegen einen endovaskulären Trikuspidalklappenersatz – und dafür ist eine sorgfältige ärztliche Aufklärung auf Basis guter Studiendaten essenziell.
Zum Ablauf der Berichterstellung
Der G-BA hat das IQWiG am 13.02.2025 mit der Bewertung des perkutan implantierten interatrialen Shunts zur Behandlung der Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF < 40 %) (Projekt N24-04) beauftragt. Auf Basis einer internen Projektskizze wurde ein Rapid Report erstellt. Dem Auftraggeber ist der nun veröffentlichte Rapid Report im Juli 2025 zugegangen.
Mit der Bewertung der endovaskulären Implantation eines Transkathteter-Trikuspidalklappenersatzes bei Trikuspidalklappeninsuffizienz (Projekt H25-01), dem 3. Addendum zum Projekt H23-03, hat der G-BA das IQWiG am 10.04.2025 beauftragt. Das nun veröffentlichte Addendum ist dem Auftraggeber im Juli 2025 zugegangen.
Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können.
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