Kunst & Kultur

Dara Birnbaum. Talking Back to the Media

18. Juni – 6. August 2021
Dienstag – Freitag 12-18 Uhr, Donnerstag 12-20 Uhr*
*Vom 18.-20. Juni ist der Showroom von 12-20 Uhr geöffnet.

Dara Birnbaum gilt als Pionierin der Videokunst und hat seit den 1970er Jahren maßgeblich deren visuelles Vokabular geprägt. Anlässlich des 50-jährigen Bestehens des 1971 gegründeten n.b.k. Video-Forums widmet der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) Dara Birnbaum ihre erste Solopräsentation in Deutschland seit mehr als 20 Jahren. Birnbaum setzte sich in ihrem Schaffen mit Nachdruck und Erfolg für die Etablierung von Video als Medium der Kunst ein und öffnete damit die medialen Grenzen der Kunstwelt. Ihre Praxis hat sich sowohl in konzeptueller als auch in ästhetischer Hinsicht als wegweisend für nachfolgende Künstler*innengenerationen erwiesen. Mit der Präsentation ihrer Werke führt der n.b.k. sein Engagement für Formen der kritischen Auseinandersetzung im Medium Video fort. Der Fokus der Ausstellung liegt auf den Arbeiten der Künstlerin, die sich seit den 1980er Jahren in der Sammlung des n.b.k. Video-Forums befinden.

Birnbaums Beschäftigung mit dem linearen Fernsehen, dem Massenmedium ihrer Zeit, und ihre Methode, dessen Mittel gegen sich selbst zu wenden, manifestiert sich eindrucksvoll in den frühen Arbeiten Technology/Transformation: Wonder Woman (1978-1979) und Kiss the Girls: Make Them Cry (1979), die inzwischen fest in den Kanon der Videokunstgeschichte eingegangen sind. Für Technology/Transformation: Wonder Woman (1978-1979) eignete sich Birnbaum Ausschnitte der Kultserie Wonder Woman (1975-1979) an. In der Serie verwandelt sich die Titelheldin durch eine charakteristische Drehung in die mit Superkräften ausgestattete Wonder Woman. Der mit der Verwandlung einhergehende, von einem Schnitt begleitete Kostümwechsel wird durch einen Spezialeffekt kaschiert: Ein Lichtblitz kombiniert mit einem Donnergeräusch symbolisiert eine Explosion. Birnbaum isoliert diese Szenen der Transformation und verdichtet sie  zu einer Montage, die sich allein auf die Momente der spektakulären Verwandlung konzentriert. Die Künstlerin reduziert die Story auf eine Abfolge ständiger Höhepunkte und zeigt eine im popkulturellen Kontext oft als feministisch gelesene Ikone der 1970er Jahre als eine sich im Kreis drehende Frau. Damit beleuchtet Birnbaum einerseits kommerzielle stereotype Rollenbilder, wie sie über Massenmedien verbreitet werden, andererseits untersucht sie die Erzeugung von Spezialeffekten durch pyrotechnische Verfahren und Lichteffekte sowie den Einsatz von Soundeffekten. Im zweiten Teil des Videos wird die akustische Dimension von Birnbaums Schaffen besonders deutlich. Unvermittelt wechselt das Bild von den beschriebenen Filmszenen zu einem monochrom blauen Bildhintergrund über den, einem Karaoke-Video nicht unähnlich, der transkribierte Text eines Discosongs läuft, während ausgewählte Sequenzen dieses Songs abgespielt werden. Hierbei handelt es sich um eine Kombination der A- und B-Seite einer Langspielplatte der Wonderland Disco Band. Die beiden Versionen des Songs – Wonder Woman Disco (European Version) und Wonder Woman Disco (American Version), beide von 1978 – offenbaren über Songzeilen wie "Ah-h I just wanna shake thy wonder maker for you" oder "Make it feel real good for you" eine mehr als eindeutige Leseweise der Wonder Woman nicht als feministische Ikone, sondern als Objekt, das für den Konsum durch einen männlichen Blick produziert wurde.

In dem Video Kiss the Girls: Make Them Cry (1979) bringt die Künstlerin die damals populäre Quizsendung Hollywood Squares (1966-1981) mit zwei Disco-Hits von 1979 zusammen und verquickt sie zu einer repetitiven Folge von stereotypisierten und exaltierten Begrüßungsgesten vor allem der weiblichen Teilnehmer*innen der Show. Das Video lässt sich als Kritik an der Logik des allabendlichen Entertainments lesen, das die stete Jagd nach kurzzeitiger Prominenz und teils auch Geldpreisen zu einer gelebten Variante des American Dreams erhob. Die Verbindung von Discomusik und blinkendem Bühnenbild öffnet zugleich den Blick auf die ästhetische Qualität des Vernakulären solch populärer Sendungen. Birnbaum zeigte ihre Arbeiten auch außerhalb des Kunstbetriebs, z. B. in Diskotheken. Die strahlenden Fernsehkulissen, die an die in den 1970er Jahren üblichen Glasleuchtböden von Tanzlokalen erinnern, lassen dies nur konsequent erscheinen.

Die erstmals in Deutschland gezeigte dritte Arbeit in der Ausstellung, Lesson Plans (To Keep the Revolution Alive) (1977, gedruckt in 2021), besteht aus insgesamt 15 Bild- und 15 Textpaneelen, welche noch vor Birnbaums Appropriation von Videomaterial ihre Beschäftigung mit dem Fernsehen einläuteten. Anlässlich ihrer ersten institutionellen Einzelausstellung im Artists Space in New York (1977) kombinierte Birnbaum Einstellungen aus Fernsehsendungen, die sie mit einer 35-mm-Kamera abfotografiert hatte, mit Transkriptionen, in denen sie den in den jeweiligen Szenen gesprochenen Text exakt wiedergab. Dabei wählte sie ein serielles Vorgehen: Die gesamte Serie besteht aus fünf Sets von jeweils fünf Bild- und fünf Texttafeln; Birnbaum erstellte ein Set pro Arbeitstag, das sich aus dem am jeweiligen Tag ausgestrahlten Serienmaterial speist. Jede der bearbeiteten Sendungen lief wochentags zur Primetime. Die Dialogszenen, welche von Zuschauer*innen üblicherweise als zeitliche Einheit wahrgenommen werden, sind in ihre Bestandteile zerlegt: Birnbaum zeigt Schuss und Gegenschuss und verdeutlicht damit die Konstruiertheit derartiger Fernsehbilder. Durch die Einbindung der gesprochenen Dialoge der damals populären Krimi-Drama-Serien wird das Inszenieren von klischeehaften bad und good guys in den Fokus gerückt – Lesson Plans (To Keep the Revolution Alive) wird nicht nur zu einer Gegenüberstellung von Bild und Text, sondern zu einer Demonstration jener stereotypen Charaktere und konventionell verwendeten Kameraperspektiven, mit denen die Fernsehsendungen inszeniert wurden.

Über die im Ausstellungsraum zu erfahrenden Werke hinaus präsentiert der n.b.k. über die gesamte Laufzeit der Ausstellung auf seiner Webseite Birnbaums Videotrilogie Damnation of Faust (1983-1987). Die Trilogie unterscheidet sich grundlegend von Birnbaums Appropriationsarbeiten, hierfür nahm sie eigenes Videomaterial in ihrer Nachbarschaft in New York auf. Daraus komponierte sie visuell und akustisch dichte Montagen, die mit unterschiedlichen Effekten arbeiten, darunter Blenden, Inserts, Zooms und Fokusverschiebungen, die formal an japanische Ukiyo-e-Druckgrafiken des 19. Jahrhunderts angelehnt sind, welche Birnbaum 1982 im Van Gogh Museum in Amsterdam sah. Angeregt von der formalen Vielfalt dieses Druckgrafik- Genres und als Aufbegehren gegen die als eintönig empfundenen Darstellungskonventionen moderner Videotechnologie, begann Birnbaum neu formulierte visuelle Techniken zu schaffen. Die Trilogie – die inhaltlich lose an Héctor Berlioz‘ gleichnamige Komposition La damnation de Faust (1846) angelehnt ist, welcher den Goethe-Stoff musikalisch adaptierte – stellt die weibliche Protagonistin Marguerite (Gretchen)ins Zentrum und streift nicht nur Thematiken der Jugend und des Älterwerdens, sondern nimmt auch den urbanen Wandel New York Citys in den Blick.

Mit dem als Titel der Ausstellung gewählten Ausdruck Talking Back to the Media hat Dara Birnbaum häufig ihre Arbeitsweise beschrieben, den Massenmedien Widerworte zu geben. In einem 1985 erstmals veröffentlichten, gleichnamigen Text weist sie auf Parallelen zwischen ihren frühen Arbeiten und der zu diesem Zeitpunkt entstehenden Damnation of Faust-Trilogie hin. Birnbaum stellt heraus, dass in den 1980er Jahren "neue Formen von Repräsentation, Bild und Bedeutung durch unseren eigenen Gebrauch der Werkzeuge und Nebenprodukte der [Fernseh-]Industrie" vonnöten seien, während ihr in den 1970er Jahren die Appropriation massenmedialer Fernsehbilder als beste Herangehensweise erschien.

Dara Birnbaum (*1946 in New York, lebt und arbeitet ebenda) absolvierte ein Architekturstudium an der Carnegie Mellon University und studierte anschließend Malerei am San Francisco Art Institute. 1976 schloss sie einen Kurs in Video / Electronic Editing am Video Study Center of Global Village, New School for Social Research in New York ab. Birnbaum lehrt als Professorin im Master of Fine Arts-Programm an der School of Visual Arts in New York City und hatte Lehraufträge an zahlreichen Hochschulen, wie der Städelschule in Frankfurt/Main, der Princeton University, der School of Visual Arts in New York und dem California Institute of the Arts in Valencia/Kalifornien inne. 2021 ist sie Stipendiatin der New Yorker John Simon Guggenheim Memorial Foundation. Birnbaum war mit ihren Arbeiten mehrmals auf der documenta, Kassel (1992; 1987; 1982) sowie der Biennale Venedig (2015; 2003; 2001; 1995; 1984) vertreten. Seit 2017 wird ihr zu Ehren der Birnbaum Award von der Carnegie Mellon University School of Art an herausragende Graduierte verliehen, welche an der Schnittstelle von Kunst, Medien und Technologie wirken. Umfangreiche Einzelausstellungen von Birnbaum waren u. a. zu sehen: Cleveland Museum of Art (2018); Serralves Foundation, Porto (2010); S.M.A.K., Gent (2009); Center for Contemporary Art Kitakyushu (2009); Museum of Modern Art, New York (2008); The Jewish Museum, New York (2003); Künstlerhaus Bethanien (1997); Kunsthalle Wien (1995).

Diskursprogramm online
Ab Donnerstag, 8. Juli 2021

Künstleringespräch
Mit Dara Birnbaum (Künstlerin, New York) und Stuart Comer (The Lonti Ebers Chief Curator of Media and Performance, The Museum of Modern Art, New York), moderiert von Arkadij Koscheew (Kurator, Berlin)
In englischer Sprache

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