Reisen & Urlaub

Post-COVID-Tourismus – mehr Nachhaltigkeit? Herausforderungen für den Tourismus nach der Pandemie

Unter dem Titel „Post-COVID-Tourismus – mehr Nachhaltigkeit?“ diskutierte das Bayerische Zentrum für Tourismus am 19.10.2021 mit Expert*innen aus der Wissenschaft und Tourismuswirtschaft. Im Fokus der sechsten digitalen Diskussionsrunde, die im Rahmen der Jahresdialogreihe „Tourismus neu denken – Bleibt alles anders?“ stattfand, ging es um die Frage, inwieweit das Thema Nachhaltigkeit für Tourismusveranstalter, Reisende und Destinationen eine Rolle spielt, ob Corona die Diskussion befeuert hat und wie es in der Zukunft weitergehen könnte. Fest steht: Das Thema ist komplex, bei Fernreisen gingen die Meinungen auseinander.    

70 Prozent aller Deutschen würden gerne nachhaltig verreisen, aber nur sieben Prozent machen es tatsächlich. Dieses Ergebnis zeigte ein Videoeinspieler, der zu Beginn der Diskussionsrunde, die Prof. Dr. Jürgen Schmude von der Ludwig-Maximilians-Universität München und wissenschaftlicher Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus, moderierte. Wer heute mit dem Flugzeug von Berlin nach München fliegt, erzeugt 104 Kilo Treibhausgase, mit dem Auto sind es 81, mit dem Zug 23. Aber spielt Nachhaltigkeit bei den Reisenden überhaupt eine Rolle und wie stark hat die Pandemie als ein Katalysator für das Thema Nachhaltigkeit gewirkt? Prof. Dr. Harald Zeiss, Experte im nachhaltigen Tourismus, der an der Hochschule Harz in Wernigerode lehrt, sagte: „Die Pandemie hat die Menschen nachdenklicher gemacht.“ Allerdings sehe er es kritisch, ob die Pandemie wirklich der Nachhaltigkeit geholfen habe. Die Regierungen hätten sehr viel Geld in die Bekämpfung der Pandemie investiert. Dieses Geld fehle nun für den Umbau in der Wirtschaft und der Gesellschaft.

Nachhaltigkeit als Qualitätsaspekt

Wenn es um Nachhaltigkeit und Reisen geht, steht für Line Dubois, Reisebloggerin und Chefredakteurin des Reiseblogs „Off the Path“, der Tier- und Umweltschutz im Vordergrund. „Es geht nicht darum, in ein Hotel zu gehen oder nicht mehr zu fliegen. Wenn wir nicht mehr nach Afrika oder an den Amazonas reisen und dort unser Geld lassen, kommt dieses nicht im Tierschutz vor Ort an“, sagte sie. Dubois plant Reisen, die sich nicht an die Masse richten. Erst kürzlich organisierte sie eine vierwöchige Reise für zwei Gruppen nach Kanada. Dort fuhren sie mit dem Fahrrad durch Vancouver und unternahmen eine Kajaktour, um Wale zu beobachten. Dubois sagte allerdings auch, dass sie das Thema Nachhaltigkeit nicht proaktiv kommuniziere. Doch das ist genau das, was sich Prof. Dr. Edgar Kreilkamp von der Leuphana Universität in Lüneburg wünscht. „Wenn Veranstalter und Anbieter das Thema Nachhaltigkeit nicht kommunizieren, wie sollen es dann die Reisenden lernen?“ Es gebe Reisebüros, deren Kenntnisse zur Nachhaltigkeit nicht besser als in der Bevölkerung seien. Viele würden das Thema meiden, weil sie der Ansicht seien, sie könnten zu dem Thema nicht viel sagen. Dabei sei Nachhaltigkeit ein Qualitätsaspekt, das müsse man auch erklären.

Auch die Destinationen haben das Thema Nachhaltigkeit stark im Blick. Dr. Peter Brandauer ist Bürgermeister der österreichischen Gemeinde Werfenweng und Präsident der Dachmarke „Alpine Pearls“, die 19 umweltfreundliche Urlaubsorte der Alpen umfasst. Brandauer muss den Spagat schaffen, dass Werfenweng nicht nur für die Touristen ein nachhaltiger Urlaubsort ist, sondern auch ein nachhaltiger Lebensraum für die Bevölkerung. „Es ist Freude und Herausforderung, wenn man das begleiten darf“, sagte er. Es gehe auch um Glaubwürdigkeit, man müsse die Bevölkerung miteinbeziehen und mitnehmen.

Kippt die Stimmung bei Flugreisen, weil sie sozial weniger erwünscht sind?

Eine Diskussion für die touristischen Leistungsträger angesichts der Pandemie betrifft auch die Preissteigerung. Auf die Frage, ob es in Zukunft leichter oder schwieriger wird, nachhaltige Produkte zu entwickeln, antwortete Kreilkamp: „Wir müssen darauf achten, von welchem Leistungsträger wir sprechen. In der Hotelbranche verstehe ich niemanden, der kein nachhaltiges Hotel hat.“ Bei einer Fluggesellschaft sei es schon schwieriger. Der Prozess, andere Treibstoffe zu entwickeln, dauere länger. Wenn die neue Bundesregierung stehe, würden auch die Flüge teurer werden, aber einen Flug für 19,95 Euro oder 39,99 Euro brauche keiner. Zeiss sagte, dass man in der gesamten Wertschöpfungskette bis auf den Flug nachhaltig leben könne. Die Gäste würden sich zunehmend mehr informieren. Für die verpackte Marmelade im Plastikglas hätten immer weniger Verständnis. Und vielleicht kippe auch bei Flugreisen die Stimmung, weil es sozial immer weniger erwünscht sei. Brandauer hat in Werfenweng viele Stammgäste und er beobachtet, dass sich auch deren Einstellung ändert: So stellen viele von Auto auf Zug um.

Positionierung der Destinationen

Auch die jüngere Generation legt immer mehr Wert auf nachhaltiges Reisen. Ist die weite Flugreise überhaupt noch in Ordnung, Stichwort „Cancel Culture“? „Wir merken schon, dass wir von unserer Generation eher Kritik bei einer Flugreise bekommen, als wenn wir jetzt Monate mit dem Camper reisen würden. Aber ist es nachhaltiger, monatelang mit dem Auto zu fahren? Ich behaupte nein“, sagte Dubois. „Ich wohne in Garmisch-Partenkirchen, der Eibsee ist sowas von überfüllt, ich war seit zwei Jahren nicht mehr dort. Der Overtourismus wird jetzt einfach von Peru an den Eibsee verlegt.“ Man müsse nicht dreimal im Jahr in den Urlaub fliegen und man könne auch das Reisen mit dem Arbeiten verbinden. Seit Corona hätten die Arbeitgeber mehr Verständnis, dass man länger vom Arbeitsplatz weg sei und länger aus dem Ausland arbeite. Die Ansicht von Dubois teilte Kreilkamp nicht ganz: „Eine Flugreise nach Peru sind acht Tonnen CO2. Overtourismus am bayerischen See einer Reise nach Peru entgegenzusetzen, finde ich nicht differenziert.“ Mit dem Auto oder einem Camper käme man nicht auf acht Tonnen.

Schmude wollte von den Diskutant*innen wissen, ob es Sinn macht, Destinationen als nachhaltig auf dem Markt zu positionieren. „Aus der Sicht der Destinationen muss man nicht alle Gäste ansprechen. Wer sich als Destination abhebt, wird anders wahrgenommen“, sagte Kreilkamp. Man müsse das Leistungsversprechen dann auch erfüllen. Zum Abschluss der Diskussionsrunde konnte das Publikum an einer Online-Umfrage teilnehmen. Es ging um die Frage, ob die Nachhaltigkeit an Bedeutung gewinnen wird. 70 Prozent stimmten dafür, 30 Prozent waren der Ansicht, dass dies noch länger als fünf Jahre dauern wird. Keiner glaubte, dass das Thema Nachhaltigkeit verschwinden wird. Das haben die Ausführungen der Diskutant*innen mehr als deutlich gezeigt.

Alle Jahresdialoge können Sie hier abrufen.

In diesem Zusammenhang weist das Bayerische Zentrum für Tourismus auf die nächste Veranstaltung am 16. November 2021 der Jahresdialogreihe „Tourismus neu denken – Bleibt alles anders?“ hin: Dann diskutieren Expert*innen aus Wissenschaft und Wirtschaft zum Thema „Digitalisierung im Tourismus – Was muss, was kann, was soll?

Über den Bayerisches Zentrum für Tourismus e.V.

Das Bayerische Zentrum für Tourismus (BZT) ist ein An-Institut der Hochschule Kempten. Es wurde im Zuge der neuen Tourismusinitiative des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie gegründet und versteht sich als ein unabhängiger wissenschaftlicher Thinktank. Neben relevanten Forschungsprojekten initiiert und moderiert das BZT den praxisrelevanten Austausch zwischen Wissenschaftlern, Politikern und den verschiedenen Akteuren der Tourismuswirtschaft. Dabei stehen die Vermittlung von Wissen, die Identifikation wichtiger Themen der bayerischen Tourismuswirtschaft, die Vernetzung der bayerischen Tourismusakteure und ein lösungsorientierter Diskurs zur Förderung, Optimierung und Weiterentwicklung der Leistungsfähigkeit des bayerischen Tourismus im Fokus. Ziel des BZT ist die Förderung von Tourismuswissenschaft und -forschung sowie die Intensivierung des interdisziplinären Wissens- und Erfahrungsaustauschs. https://bzt.bayern/

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