Kunst & Kultur

Mahnung gegen die Unterdrückung der historischen Wahrheit – Martin Weigert übergibt Kollwitz-Plastik in Erinnerung an seinen im KZ Sachsenhausen inhaftierten Vater an die Gedenkstätte

In Anwesenheit von Kulturministerin Manja Schüle hat Martin Weigert, Professor Emeritus für Biowissenschaften und Molekularbiologie der Princeton University, heute das Bronzerelief „Die Klage“ von Käthe Kollwitz als Schenkung an die stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen, Astrid Ley, überreicht. Zu diesem Schritt entschloss er sich nach einem Besuch der Gedenkstätte 2018, der ihn tief beeindruckt hat. Mit der Schenkung möchte er an seine 1939 mit ihren beiden Kindern in die USA emigrierten Eltern, den Berlin Juristen Hans Werner Weigert und seine Frau Elisabeth, erinnern. Sein Vater wurde nach den Novemberpogromen 1938 in das KZ Sachsenhausen verschleppt. Die zwischen 1938 und 1941 in Erinnerung an den Künstlerkollegen Ernst Barlach geschaffene Bronze stellt den Kopf einer Figur im Halbprofil dar, die Mund und Augen mit ihren Händen bedeckt.

Bei der feierlichen Übergabe, an der auch seine Frau Betsy DiPrima und die beiden Töchter Laura und Lilli sowie weitere Angehörige teilnahmen, sagte Martin Weigert heute in der Gedenkstätte Sachsenhausen: „Für mich zeigt das Bronzerelief von Käthe Kollwitz zwei gesellschaftliche Bedingungen, die die Verbrechen des Dritten Reichs ermöglichten. Die Hand auf dem Mund der Figur bezieht sich auf die Unterdrückung aller Informationen über die ‚Endlösung‘, die in der Ermordung von Millionen Juden gipfelte. Die Hand auf den Augen steht für die Verleugnung des Holocaust durch die Deutschen während des Dritten Reichs. Das Relief stellt daher eine Mahnung

gegen alle Formen der Unterdrückung und Verleugnung des Holocaust dar, wie sie bis heute überall auf der Welt geschehen. Wir hoffen, dass die Präsentation der Bronze ‚Die Klage‘ in der Gedenkstätte Sachsenhausen dazu beitragen wird, die Kenntnisse über den Holocaust zu verbreiten und allen Geschichtsfälschungen entgegenzutreten.“

Astrid Ley sprach im Namen der Gedenkstätte ihren großen Dank aus und erklärte: „Die Familie Weigert musste Deutschland unter unwürdigen Umständen verlassen, nach Diskriminierung und Ausgrenzung, Misshandlung und KZ-Haft, ausgeplündert, verhöhnt, gedemütigt und tief verletzt. Dennoch ist Martin Weigert jetzt nach Brandenburg gekommen, um der Gedenkstätte dieses wertvolle Geschenk zu machen. Ich bin überwältigt von der Großzügigkeit und dem Vertrauen, das uns Martin Weigert entgegenbringt nach allem, was unsere Vorfahren ihm und seiner Familie angetan haben. Seine Wertschätzung für unsere Arbeit in der Gedenkstätte rührt mich zutiefst. Wir planen, das eindrucksvolle Kunstwerk in der neuen Dauerausstellung in der Baracke 38 im Zusammenhang mit der Verfolgungsgeschichte der Familie Weigert auszustellen.“

Kultur- und Wissenschaftsministerin Manja Schüle ergänzte: „Käthe Kollwitz berührt mit ihren Zeichnungen, Grafiken und Plastiken bis heute auf eine unverwechselbare Art. Das gilt auch und insbesondere für ihr Bronzerelief ‘Die Klage‘, das seit heute Teil der Gedenkstätte Sachsenhausen ist. Herzlichen Dank an den Stifter Prof. Martin Weigert für diese überaus generöse Geste. Seine Geschichte steht stellvertretend für hunderttausende Schicksale von NS-Verfolgten: Sein Vater war 1938 zwei Wochen in Sachsenhausen inhaftiert, erst später gelang ihm mit der Familie die Flucht in die USA. ‘Die Klage‘ ist den im Nationalsozialismus Verfemten, Geächteten, Verstoßenen gewidmet – ein beeindruckendes Plädoyer für Empathie, Toleranz und Miteinander. Ich finde: Fähigkeiten des Geistes und des Herzens, die wir auch heute wieder dringend benötigen.“

Hintergrund

Martin Weigert wurde 1937 in Berlin geboren. Sein Vater und seine protestantische Mutter waren Martin Niemöllers St.-Annen-Gemeinde in Dahlem eng verbunden, wo Weigert im Sommer 1938 getauft wurde. Einer von drei Taufpaten war ihr Nachbar Theodor Heuss, der spätere Bundespräsident. Weigerts Vater, Dr. jur. Hans Werner Weigert (1902-1983), war in Berlin als Rechtsanwalt erfolgreich, bis ihm die NS-Regierung wegen seiner jüdischen

Abstammung 1933 die Berufsausübung verbot. Während der reichsweiten Pogrome im November 1938 wurde er als einer von über 6.300 jüdischen Männern in das KZ Sachsenhausen verschleppt.

Die Inhaftierung von insgesamt über 27.000 jüdischen Männer in Konzentrationslagern hatte das Ziel, den Auswanderungsdruck auf die deutsch-jüdische Bevölkerung zu erhöhen. Deshalb wurde die große Mehrheit der Männer in den Folgemonaten unter der Auflage entlassen, sofort aus Deutschland zu emigrieren. So erging es auch Hans Werner Weigert, der am 23. November 1938 nach knapp zweiwöchiger KZ-Haft wieder freikam, wohl weil das bereits lange zuvor beantragte Quoten-Visum für die USA zugeteilt wurde. Anfang 1939 verließen Hans Werner und Elisabeth Weigert mit ihren beiden Kindern Deutschland.

Da Hans Werner Weigert in den USA nicht als Jurist arbeiten konnte, musste er seiner Familie als kaufmännischer Angestellter und Lehrer ein Auskommen sichern. Parallel begann er mit der Arbeit an seinem 1942 erschienenen Buch „Generals and Geographers“ über das Wesen der nationalsozialistischen Geopolitik, mit dem er den Grundstein für seine spätere Laufbahn als Politikwissenschaftler legte.

1947 kehrte Hans Werner Weigert als „legal officer“ der US-Militärregierung nach Deutschland zurück, um bei der Reorganisation der Justiz in der US-Besatzungszone zu helfen. Anfang der 1950er Jahre erhielt er eine Professur für Politische Wissenschaften an der renommierten Georgetown University in Washington. Sein Sohn Martin wurde Immunologe und schlug eine wissenschaftliche Laufbahn ein, bei der er vor allem in Bezug auf die Autoimmunkrankheit Lupus erythematodes wesentliche Erkenntnisse erlangte.

Die Weigerts entstammen einer bekannten Berliner Kaufmannsfamilie, die die Plüsch- und Wollwarenfabrik Weigert & Co. mit Produktionsstandorten in Charlottenburg und in Schlesien betrieb. Seit 1839 in Berlin ansässig, gehörten sie neben den Liebermanns, Reichenheims und Simons zu den bedeutendsten jüdischen Textilunternehmern der Stadt. Martin Weigerts Urgroßvater, der Nationalökonom Dr. phil. Max Weigert (1842-1920), der das Unternehmen bis 1903 leitete, gehörte von 1888 bis 1910 dem Berliner Stadtrat an, wirkte als erster Vizepräsident maßgeblich an der Gründung der Berliner Handelshochschule mit und saß in den

Aufsichtsräten mehrerer Unternehmen. Großvater Dr. jur. Erich Weigert (1872-1943) war von 1919 bis zu seiner Zwangsbeurlaubung durch die Nationalsozialisten Direktor des Landgerichts Berlin I.

Der Berlin-Besuch von Professor Dr. Martin Weigert und seiner Frau Betsy DiPrima, die in New Hampshire leben, wird durch das Emigrantenprogramm des Berliner Senats ermöglicht.

Information: www.sachsenhausen-sbg.de

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