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Wenn im Erzgebirge der Lack ab ist: Junges Unternehmen poliert alte Möbel auf

Die Farbe splittert an vielen Stellen ab, Beschläge fehlen, andere sind von einem rostigen Film überzogen. Die Profilleiste ist ausgebrochen. Der antike Holzschrank hat sicher schon einiges erlebt. Für viele wäre er nun ein Fall für den Müll. Aber Holz ist langlebig und geduldig. Für Tobias und Benjamin Kunzmann beginnt genau an diesem Punkt die Arbeit in ihrem kleinen Unternehmen Kunzmann Recovery in Lauter. Dies haben die Brüder erst im Juli 2021 gegründet. Um sich dem gemeinsamen Traum von einem Start-up zu erfüllen sind beide wieder aus der Großstadt ins Erzgebirge zurückgekehrt.

Die Werkstatt im Hof gleicht einer Schatztruhe. In Regalen stapeln sich ordentlich beschriftete Kästen mit Beschlägen, Griffen, Zierleisten, Füßen. Mitten im Raum steht eine Werkbank, umsäumt von Maschinen, alten Kommoden und Schränken, die aus Haushaltsauflösungen oder von eBay stammen. Sie warten darauf, endlich aus dem Dornröschenschlaf geweckt zu werden. Zuerst geht es an die Schichten alter Farben und Lacke, die abgeschliffen werden, bis die pure Schönheit der Möbel hervorkommt. Und mit jedem Handgriff entsteht in den Köpfen der Brüder ein Bild, wie sie das Möbelstück zum glänzenden Unikat machen. Für Benjamin und Tobias ist die Werkstatt so etwas wie ein Sechser im Lotto, denn bis vor kurzem noch werkelten sie in der elterlichen Garage. Im letzten Jahr schlug der Zufall zu – oder wie man im Erzgebirge sagt: Ich kenne da jemanden, der jemanden kennt. Seitdem sind sie eine Art Kooperationspartner von Holz-Weidauer, einem Unternehmen, das u.a. für den Handel von Hölzern bekannt ist. Der Deal ist ganz einfach: Sie betreuen die große Laden- und Ausstellungsfläche der Manufaktur „Holz-Fabrik“ in Lauter und dürfen im Gegenzug nicht nur ihre eigenen Unikate mit im Geschäft verkaufen, sondern auch die Werkstatt im Hof für sich nutzen.

Zwei Brüder – zwei Wege – eine Geschäftsidee

Benjamin spürte schon immer ein Faible für Holz und dafür, etwas mit den Händen zu tun. Den Tischlerberuf lernte er von der Pike auf, arbeite dann in einem Unternehmen am Erzgebirgskamm, das Produkte und Interieur mit Holz veredelt. Irgendwann rief die Metropole. „Ich war unabhängig, jung und wollte das Stadtleben in Leipzig kennenlernen. Hatte Freunde dort, bin schon immer gern auf Konzerte gegangen. Diese vielen Möglichkeiten haben mich gereizt“, erinnert sich der 31-jährige. Einen Job fand er beim Klavierbauer Blüthner – für ihn als leidenschaftlichen Bassisten und Schlagzeuger eine interessante Perspektive. Dann kam die Liebe ins Spiel, das erste Kind war auf dem Weg und damit der Wunsch, mit einem Umzug nach Dresden näher an ihrer Familie zu sein. „Aber trotz der wunderschönen Stadt mit der Elbe vor der Nase sind wir nie in Dresden angekommen.“ Was beide Städte verband, war Benjamins Wunsch, sich mit dem Aufpolieren alter Möbel oder einer klassischen Tischlerei selbstständig zu machen. Aber hohe Mieten, eine große Konkurrenz und ein Bauchgefühl, dass Zeit und Ort noch nicht passen, ließ seine Ideen meist im Keim ersticken.

Die Frage „Abitur – und wie geht es jetzt weiter?“ schwebte vor Jahren über dem zwei Jahre jüngeren Tobias. Schon immer war er der kreativste Kopf in der Familie, bastelte viel – als Kind am Schreibtisch, als Jugendlicher am PC: Er absolvierte in Dresden ein Studium zum Grafik-Designer, sprang zum Jobben danach zwischen Erzgebirge und Dresden hin und her. Den ganzen Tag nur am Computer zu sitzen, erfüllte ihn nicht. „Viel mehr hatte ich den Gedanken, Handwerkliches mit meinem Können im Webdesign zu verbinden“, erzählt Tobias. Irgendwann setzten sich die Brüder zusammen und feilten an ihrer Geschäftsidee, die sie schließlich gemeinsam im Erzgebirge angehen wollten: „Alte Möbel aufkaufen, hübsch machen und wiederverkaufen – und damit auf den Trend des sogenannten Upcyclings aufspringen“, erklären sie.

Möbelverkauf ab elterlichem Garagentor

Wie so viele Start-ups begann auch „Kunzmann Recovery“ als Garagenfirma – mit Vaters Werkzeug. Wenn auch die Garage größer als die einer klassischen Pkw-Bleibe war, konnte das kein Dauerzustand sein. „Die Möbel verkauften wir durch das Garagentor. Dem Vater wurde es irgendwann zu bunt und der Nachbarschaft zu laut. Zudem lag überall der feine Schleifstaub rum“, beschreiben sie die Zustände. Vor eineinhalb Jahren kam dann der Anruf von Steffen Weidauer. Der Chef des Holzhandels samt Manufaktur suchte einen Partner, mit dem er gemeinsam eine Vision spinnen kann. Den Leerstand in dessen eigenem Haus, eine riesige Ladenfläche, sollte mit schicken Produkten aus Holz unter dem Namen „Holzfabrik“ gefüllt werden. Für die Kunzmann-Brüder bot sich die unerwartete Chance, einen Teil der Ausstellungsfläche und die Werkstatt nutzen zu können. Seit Januar dieses Jahres sind ihre Möbelschätze und ausgefallenen Deko-Objekte nun Teil dieser „Holzfabrik“.

Vision: Regionale Hersteller auf einer Fläche bündeln

Noch sind beide für ein paar Stunden im Malergeschäft der Eltern angestellt und unterstützen dort auf Baustellen, um zusätzlich ein fixes Einkommen zu haben. Jeden Cent, der übrig ist, stecken die Brüder in neue Werkzeuge und letztlich in den Traum, bald Vollzeit von ihrem Start-up leben zu können. „Ich bin zufrieden mit der Firma, wir haben bereits Kunden aus ganz Deutschland“, resümiert Tobias. Darauf ruhen sich die beiden nicht aus, die nächsten Visionen sind formuliert. „Wir möchten perspektivisch stärker mit regionalen Herstellern zusammenarbeiten und Manufakturprodukte hier in der Ausstellung bündeln. Wir wollen so eine Art Plattform werden für jene, die keine eigene Ausstellung haben können“, erklärt Benjamin. Kettensägeschnitzereien von einem örtlichen Zimmermann und Skulpturen eines Künstlers machen bereits den Anfang.

Rückkehr ins Erzgebirge mit neuem Blick

Ihre Rückkehr ins Erzgebirge kann man ganz gut mit dem Blick für die wiedergewonnene Schönheit der Möbel vergleichen. So wie für Benjamin und Tobias als Jugendliche der Lack im ländlichen Erzgebirge einfach mal ab war – so sehen sie ihn heute wieder. „Jetzt bin ich Vater und möchte meinen drei Kindern die freie Kindheit in Wald und Natur ermöglichen, die ich hatte. Das ging in der Großstadt so nicht“, resümiert Benjamin. Sogar die Neurodermitis des ältesten Sohns wäre hier nach dem Umzug binnen eines Monats verschwunden. Und Tobias ergänzt: „Ich habe die Großstadt als sehr anonym erlebt. Dass ich hier viele Leute kenne, den größten Teil der Familie um mich habe und sogar Leute aus dem Abi wiedertreffe, macht mein Leben entspannt.“ Die Konzertvielfalt, die Freizeitmöglichkeiten generell seien schon cool gewesen. Dafür möchte Benjamin nun seine Band, die in ähnlicher Besetzung vor 13 Jahren in der Abiturzeit gegründet wurde, wieder mit Leben füllen und neu erfinden. Quasi auch in einer Art Upcycling, weil es sich aus seiner Sicht lohnt, Dinge nicht immer gleich wegzuschmeißen, sondern lieber wieder mit Leidenschaft zum Detail aufzupolieren.

Online finden Sie die Geschichte hier:https://www.erzgebirge-gedachtgemacht.de/wirtschaft/wenn-im-erzgebirge-der-lack-ab-ist

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