Gesundheit & Medizin

So können Betroffene lernen, besser mit den Folgen von Post COVID umzugehen

Anfang April 2023 endete die Corona Pandemie in Deutschland. Viele haben COVID-19 und alles, was damit zusammenhängt, inzwischen vergessen. „Ja, für viele spielt COVID-19 keine Rolle mehr“, bestätigt der Ergotherapeut Heiko Lorenzen „aber eben nicht für alle“. Mit „nicht alle“ meint er beispielsweise seine Co-Autorin des Therapieprogramms PACING 2.0, Anna Battisti. Der Kommunikationswissenschaftlerin mit Post COVID ist es dank dieses wissenschaftlich fundierten, ausgeklügelten Programms gelungen, ihre anfangs schweren Beeinträchtigungen so zu reduzieren, dass sie inzwischen zu den mild Betroffenen zählt. Ihr Wissen geben die beiden Expert:innen unter anderem in Fortbildungen an der Akademie des DVE (Deutscher Verband Ergotherapie e.V.) weiter.

Menschen mit Post COVID sind – je nach Schweregrad – unterschiedlich stark in ihrer körperlichen und/ oder geistigen Leistungsfähigkeit geschwächt. Die Schweregrade reichen von mild bis schwerst betroffen. „Die Bezeichnung „mild betroffen“ ist für Außenstehende leicht irreführend, denn selbst mild betroffen zu sein, bedeutet: massive Einschränkungen im Alltag durch hochgradige Erschöpfung (Fatigue), kognitive Beeinträchtigungen, Schlafstörungen und Kreislaufprobleme “, stellt Anna Battisti klar, wie sehr die Folgen einer Corona-Erkrankung das Leben Betroffener aushebeln können und fährt fort: „Schwerst Betroffene sind pflegebedürftig – mitunter sogar rund um die Uhr“. Im Klartext: Die möglichen Auswirkungen von Post COVID können äußerst schwerwiegend sein. Dazu der Ergotherapeut Lorenzen: „Es lohnt sich, bei Patient:innen, die nach einer überstandenen Corona-Infektion beispielsweise Konzentrationsschwierigkeiten oder Brain Fog aufweisen, zügig und zeitnah entsprechend ergotherapeutisch zu intervenieren – auch, um den Verlauf abzumildern oder eine Chronifizierung abzuwenden“. Bestehen nach der Infektion mit dem Corona Virus weiterhin Einschränkungen im Alltag, können Ärzt:innen eine ergotherapeutische Intervention verordnen und zwar unabhängig davon, ob die akute Erkrankung und auch die Rekonvaleszenzzeit überschritten sind.

Belastungsintoleranz: körperliche oder geistige Anstrengung verschlimmert Symptome

Extreme Erschöpfung mit Belastungsintoleranz als Folge einer Infektion mit dem Coronavirus entspricht den Symptomen einer bereits bekannten Erkrankung: ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/ Chronisches Fatigue Syndrom). Auch das Leben von Menschen mit dieser Erkrankung ist von übermäßiger Erschöpfung und weiteren zahlreichen Symptomen geprägt, weshalb die dafür zuständigen Stellen die Betroffenenzahlen zusammenfassen. In Deutschland handelt es sich laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung – Stand 2023 – um immerhin rund 620.000 Menschen, also über sieben Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen unterliegen einer ungemein niedrigen Belastungsgrenze, die sie tunlichst nicht überschreiten sollten, da sich sonst ihre Symptome verschlimmern. Nicht immer kommt es nach einer Überforderung zu einer Erholung; manchmal bleibt es bei der Verschlechterung. Eine derart schwierige Lage könnte hoffnungslos erscheinen, doch gibt es eine Perspektive: Neben Medikamenten, die die Symptome lindern können, werden Ansätze wie Pacing, das unter anderem bereits seit langem einen festen Platz in der Schmerztherapie hat, empfohlen. Pacing ist ein Energiemanagement, mit dessen Hilfe Belastungsgrenzen ausgelotet, die eigenen Ressourcen optimal eingesetzt und Überlastungen vermieden werden sollen. „Dieses bisher bekannte Pacing bildet die Grundlage für die Ausweitung auf PACING 2.0“, erklärt Heiko Lorenzen, der selbst Ergotherapeut und als Schulleiter für die Ausbildung von Ergotherapeut:innen verantwortlich ist. Er befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Thema „Fatigue und Energiemanagement“ und sagt: „Das Hauptproblem derjenigen mit ME/CFS oder Post COVID, ist die Belastungsintoleranz“. Dieser Aspekt und die drohende Symptomverschlimmerung spielen daher eine zentrale Rolle beim speziell für diese Erkrankten entwickelten PACING 2.0.

Partizipativ: Ergotherapeutisches Know-how plus Erfahrungen Betroffene

Durch das Einbeziehen der Perspektive einer Betroffenen ist es gelungen, das Therapieprogramm PACING 2.0 besonders zielgerichtet zu konzipieren. „Die Handlungsempfehlungen, die das ursprüngliche Pacing gibt, reichen für Menschen mit einer Belastungsintoleranz durch ME/CFS oder Post COVID meist nicht aus“, bestätigt Battisti. Der Ergotherapeut erklärt: „Bei Menschen mit ME/CFS oder Post COVID kann bereits eine minimale Belastung im Alltag zum Überschreiten ihrer individuellen Belastungsgrenze führen – es gibt einen sogenannten „Crash“, der zeitverzögert noch zwei Tage nach der Überlastung einsetzen kann“. Dieser Fall, der wie gesagt zu einer eventuell dauerhaften Verschlechterung des Gesundheitszustands führt, sollte möglichst selten oder besser gar nicht eintreten. Das lässt sich durch ein konsequentes Umsetzen der einzelnen Module von PACING 2.0 erreichen. „PACING 2.0 ist kein starres Programm, vielmehr gibt es Ergotherapeut:innen einen Rahmen, innerhalb dessen sie auf die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten und weitere Faktoren, die im Leben der betroffenen Person eine Bedeutung haben, eingehen“, führt Lorenzen weiter aus.

Ergotherapeutische Analyse, Symptome und Emotionen benennen und differenzieren

In der ersten von drei Therapiephasen von PACING 2.0 schaffen Ergotherapeut:innen zunächst günstige Ausgangsbedingungen sowohl für ihre Patient:innen oder Klient:innen als auch für die therapeutische Beziehung selbst. Wer Post COVID oder ME/CFS hat, fühlt sich anfangs oft geschockt und gestresst – das ganze Leben ist aus der Bahn geraten. Daher ist zuerst ein gründliches Kennenlernen nötig und eine Analyse: Welche Symptome zeigen sich, wie ist der Status quo des Energiehaushalts, welche erreichbaren Ziele werden angestrebt, welche Emotionen wie Ängste, Wut, Frustration beeinflussen die Gedanken und den Alltag der betroffenen Person? „Es ist wichtig, Symptome und Emotionen differenziert zu betrachten“, erklärt der Ergotherapeut. Nicht alles ist alleine der Erkrankung geschuldet und negative Gefühle versperren oft den Blick auf die Realität. Daher ist der Punkt der „Selbstbeobachtung“ ein wichtiger Teil des Therapieprogramms, denn es ist nachweisbar: Durch eine differenzierte Wahrnehmung ihrer Symptome erleben Betroffene eine Zunahme des Kontrollgefühls, welches dem Gefühl der Selbstwirksamkeit ähnlich ist. Das sorgt für Beruhigung und reduziert Stress und Angst. Eine wichtige Voraussetzung, damit die Therapie greifen kann.

Ergotherapeutische Begleitung und Motivation – auch bei Rückschlägen

Mithilfe der ergotherapeutischen Erweiterung des klassischen Pacings lernen Betroffene in der zweiten Phase, sich konsequent so zu verhalten, dass es ihnen gelingt, ihre individuellen Belastungsgrenzen in allen Lebenslagen einzuhalten. „Verhaltensänderung ist mit das Schwierigste, was einem Menschen zuzumuten ist“, wissen Battisti aus Patientensicht und Lorenzen durch seine langjährige Erfahrung als Ergotherapeut. Eine ebenso große Herausforderung ist es, Menschen, die unter starkem Energiemangel und schlimmen Beschwerden leiden, durch diesen langen, anstrengenden Prozess zu leiten und zu begleiten. „Es gibt Aufs und Abs, was zusätzlich zu der zermürbenden Symptomatik der Grunderkrankung sehr belastend ist“, fasst der Ergotherapeut zusammen. Der therapeutische Ansatz ist, klare Handlungsanweisungen festzulegen, um Energie zu sparen, Energieverbrauch neu einzuteilen und dies alles fest in sämtlichen Lebenssituationen zu verankern. Hierfür gilt es, bei den Aktivitäten, die der betroffenen Person wichtig sind, Aufwand zu reduzieren, Hilfsmittel einzusetzen, Energiefresser wie Geräusche und andere Reize zu eliminieren, Handlungen zu analysieren, in Teilschritte zu zerlegen, sie sinnvoll neu zu clustern und reichlich Pausen – rechtzeitig, bevor ein Crash eintreten kann – einzuplanen und vor allem einzuhalten. Aktivitäten, die dem- oder derjenigen weniger wichtig sind, werden (zunächst) aussortiert oder delegiert.

Abschluss der ergotherapeutischen Intervention: Auswertung und Feedback

Menschen mit ME/CFS oder Post COVID geht es ähnlich wie anderen mit einer nicht sichtbaren Erkrankung: Für das Umfeld sieht diese Person aus wie immer, niemand nimmt von außen wahr mit welchen Problemen, Einschränkungen und Sorgen Betroffene tagtäglich konfrontiert sind – gerade, wenn man nicht im selben Haushalt lebt. Aber selbst dann ist es Nicht-Betroffenen nicht immer möglich, sich in den anderen Menschen hineinzuversetzen. „Wenn kein Verständnis da ist, ist das zutiefst verletzend – gerade, wenn es um Angehörige geht“, betont Battisti. Aufklärende Worte von Ergotherapeut:innen, die über die Erkrankung, deren Symptome und alles was damit einhergeht, tiefgreifendes Wissen haben und gut und verständlich vermitteln können, sind oft der Schlüssel für ein besseres Miteinander, was den Therapieerfolg weiter positiv beeinflusst. Das Krankheitsbild ist komplex und so ist auch alles, was damit zusammenhängt, vielschichtig. Ob es um das Bitten um Unterstützung, angemessene Kommunikation oder weitere Gesichtspunkte, die die Betroffenen selbst und ihr Umfeld betreffen, geht: In PACING 2.0 sind alle Aspekte zusammengeführt, die dazu beitragen können, den Betroffenen wieder zu mehr Lebensqualität zu verhelfen. Inklusive der Evaluation (Bewertung), sobald das Maximum dessen, was sich erzielen lässt, erreicht ist. Es ist typisch für Ergotherapeut:innen, und im Fall von Menschen mit ME/CFS oder Post COVID besonders wichtig, jeden kleinen Erfolg zu beleuchten und hervorzuheben. Das findet im Lauf der Therapie fortlaufend statt. „Zum Abschluss sieht PACING 2.0 vor, die Erfolge und alles Positive in Summe sichtbar zu machen“, verdeutlicht Lorenzen, wie Ergotherapeut:innen ihre Patient:innen und Klient:innen abschließend nochmals Selbstwirksamkeit verspüren lassen und langfristig für mehr Wohlbefinden und Teilhabe im Alltag sorgen.

Mehr über Anna Battisti und ihren Umgang mit ihrer Post COVID-Erkrankung ist hier zu finden: Anna Battisti (@annaslongcovidjourney) • Instagram-Fotos und -Videos. Auf seinem Instagram-Kanal @lebenmitfatigue informiert Heiko Lorenzen regelmäßig über Fatigue und Energiemanagement.

Informationsmaterial zu den vielfältigen Themen der Ergotherapie gibt es bei den Ergotherapeut:innen vor Ort; Ergotherapeut:innen in Wohnortnähe auf der Homepage des Verbandes unter https://dve.info/service/therapeutensuche. Zum Podcast gerne hier entlang: https://dve-podcast.podigee.io/

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