Finanzen / Bilanzen

Willkommen in den 70ern – die Inflation kehrt zurück — Amundi Research — Expert Talk / Mai 2020

„Die Geschichte zeigt, dass Wirtschaft und Finanzmärkte von langfristigen Regimen beherrscht werden, die irgendwann einen Schiffbruch erleiden und einem neuen System weichen. COVID-19 ist nun der Sturm, der eine neue Ära einleiten wird. Investoren sollten sich auf ein zuerst deflationäres und dann inflationäres Umfeld einstellen.

Der COVID-19-Regimewechsel beendet die derzeitige Paul-Volcker-Phase und die Neigung zur Sparsamkeit in den Staatshaushalten. In den 1970er Jahren markierte die Übernahme der Fed-Präsidentschaft durch Volcker, nach einer langen Periode inflationären Drucks, symbolisch das Ende der Makrofinanz der 1970er Jahre.

Die 1970er Jahre waren geprägt von der Monetarisierung der Staatsverschuldung, einer Dominanz der Löhne gegenüber den Gewinnen und einer hohen Inflation. Die 1990er Jahre dagegen waren durch private Verschuldung, Dominanz der Gewinne über den Löhnen und Vermögenspreisinflation gekennzeichnet. Dann platzte die Blase. Es folgten ein deflationäres Umfeld und schließlich der Anstieg der Staatsverschuldung in den 2010er Jahren. So stieg der Druck auf die Zentralbanken, die Schulden wieder zu monetarisieren. Sie erweiterten ihr Instrumentarium und änderten ihre Ziele, und zwar auf Kosten eines Teils ihrer Unabhängigkeit.

Aufwachen im Jahr 1973: Inflation

So gehen wir 2020 zu Bett und wachen quasi 1973 wieder auf. Das Hauptmerkmal des neuen Regimes wird sein, dass die Grenzen zwischen Finanz- und Geldpolitik zunehmend verschwimmen werden. Wir erwarten, dass Zentralbanken und Regierungen ihre Instrumente zur Bekämpfung der Rezession so weit wie möglich ausreizen werden. Die wirtschaftliche Erholung wird wohl nur langsam verlaufen. Und es ist nach wie vor sehr ungewiss, welche Verluste vorübergehend und welche dauerhaft sein werden.

Wichtig für Investoren ist, dass Angst zu extremen Maßnahmen führen kann, die unserer Meinung nach den Regimewechsel vorantreiben werden. Sicherlich werden Anleger nicht morgen schon in einem Hochinflationsregime aufwachen. Tatsächlich dürften die Folgen von COVID-19 zunächst deflationär sein. Aber die Vorboten höherer Inflation sind bereits an vielen Stellen zu erkennen.

Die direkte Monetarisierung der Haushaltsdefizite, ein Rückzug aus dem Welthandel und eine Neuausrichtung der Politik zugunsten des Faktors Arbeit sind bereits sichtbare inflationäre Kräfte. Die Forderungen nach sozialer Absicherung und nach besserer Kontrolle „kritischer“ Branchen werden lauter. Die Fähigkeit der Unternehmen, weltweite Lieferketten aufrechtzuerhalten, wird infrage gestellt. So werden sich wohl die Produktionskosten in den Industrieländern erhöhen und die Exporte der Schwellenländer verringern.

Ein Regimewechsel erfolgt, wenn eine Gesellschaft bestehende Ungleichgewichte nicht mehr akzeptiert. Schon lange vor COVID-19 begann eine Ära, die von extremer Ungleichheit, mehr Protektionismus und fortschreitendem Klimawandel geprägt war. Eine extreme Arbeitslosigkeit oder der Streit auf EU-Ebene um eine gemeinsame Lösung und die Corona-Schuldzuweisungen werden diese Ungleichgewichte auf ein noch nie dagewesenes Niveau bringen.

Zentralbanken und politische Parteien werden weiter bereit sein, die Verschuldung zu erhöhen. Deglobalisierung und Rezession, ausgelöst durch einen Nachfrageschock und einen Angebotsschock, könnten einen Anstieg der Inflation auslösen.

Liquidität für Investoren entscheidend

COVID-19 führt zu einer Liquiditätskrise im Unternehmenssektor, weshalb Liquidität ein kritisches Element im Investitionsprozess sein wird. Sie ist nicht nur ein defensives Instrument zur Minderung der Volatilität, sondern ein Schlüsselelement für Anlagechancen. Die Zahl der als sicher anerkannten und gleichzeitig liquiden Instrumente ist allerdings begrenzt. Daher ist es normal, dass diese Vermögenswerte mit einem Aufschlag versehen sind oder, anders ausgedrückt, unabhängig von klassischen Messgrößen, wie Bewertung oder Zentralbankpolitik, gehalten werden.

Anleger sollten die kostenbereinigten Renditen ihrer Portfolios unter Berücksichtigung aller Kosten bei gleichzeitig niedrigeren erwarteten Renditen optimieren. Unseren Prognosen zufolge wird ein ausgewogenes Euro-Portfolio in den nächsten zehn Jahren eine magere Rendite von 3,5% erzielen, verglichen mit 6,7% in den letzten zehn Jahren, von März 2010 bis März 2020 betrachtet.

Immer weiter diversifizieren

Die Erhöhung des Risikos im Portfolio wird kein Allheilmittel, ein 5%-Ziel könnte dennoch erreichbar sein. Chancen bieten sich wahrscheinlich insbesondere in Märkten, in denen Ineffizienzen bestehen, wie Anleihen, Schwellenländer, Small-Mid-Caps oder ESG.

In einer Zeit der Deglobalisierung, potenziell höherer Inflation und höherer Volatilität werden neue Diversifikationsmöglichkeiten nach Kriterien wie geographisch/regional, Faktor und Investmentstil eine größere Rolle spielen. Die Parameter Ertrag, Risikotoleranz oder Inflationsschutz sind entscheidend für ein maßgeschneidertes Portfolio mit entsprechenden Anlageklassen. Wer höhere regelmäßige Erträge erzielen will, kann dafür auch illiquide Real Assets wie Private Debt, Immobilien oder Infrastruktur, oder aber auch Dividendentitel in Betracht ziehen.

Anleger sollten auch bedenken, dass sowohl Anleihen als auch Aktien in Zeiten hoher bzw. steigender Inflation, wie in den 1970er Jahren, nicht gut abgeschnitten haben, während reale Vermögenswerte wie Rohstoffe, Gold, Immobilien und Infrastruktur bessere risikobereinigte Renditen erzielten. Nicht zuletzt werden im neuen Regime ESG-Themen wichtiger werden. Neben Klimainvestitionen wird der gesellschaftliche Fokus auf einer höheren sozialen Gerechtigkeit liegen, so dass die S-Komponente zunehmend dominieren könnte.

Das neue Gleichgewicht am Ende dieser Phase wird sich sehr von dem unterscheiden, was wir im letzten Jahrzehnt, in einer Ära niedriger Inflation und niedriger Zinsen, gewohnt waren.

Das aktuelle Paper finden Sie hier und im Amundi Research Center.

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