Finanzen / Bilanzen

Corona-Krise lenkt Touristenströme um

Die Deutschen werden in der Corona-Krise weniger und kürzere Reisen unternehmen als in den Vorjahren. Deutschland selbst und heimatnahe Reisziele, die mit dem Auto erreicht werden können, profitieren von der Krise. Zusätzliche Umsätze können in der Sommersaison aber nur dann erzielt werden, wenn im Vergleich zum Vorjahr ausreichend viele freie Kapazitäten verfügbar sind oder höhere Preise durchgesetzt werden können. Zu den Verlierern werden 2020 innerhalb von Europa jene Reiseziele zählen, die üblicherweise mit dem Flugzeug erreicht werden. Spanien ist hier an erster Stelle zu nennen. Fernreisen werden 2020 keine Rolle spielen. Der Boom bei Kreuzfahrten erfährt eine Vollbremsung. 2020 könnten die Ausgaben der Deutschen im Ausland um 10% bis 20% sinken. Nach der Corona-Krise wird die klima- und umweltpolitische Regulierung des Sektors (vor allem des Verkehrs) wieder zur größten strukturellen Herausforderung im Tourismus.

Die Corona-Krise wirbelt die Reisepläne der Deutschen im Sommer des Jahres 2020 gehörig durcheinander. Das Reiseverhalten zeichnete sich in der jüngeren Vergangenheit durch einige recht stabile Trends aus, von denen manche 2020 gebrochen werden.

Weniger Urlaubsreisen
In den letzten Jahren unternahmen stets knapp 80% der Deutschen eine Urlaubsreise von mindestens fünf Tagen Dauer (2019: 78%). 2020 könnte dieser Wert auf unter 75% sinken. So zeigen Umfragen vom April 2020, dass damals 14% der Befragten ihren Sommerurlaub bereits storniert hatten. Gut 30% hatten noch keinen Urlaub geplant, und gut ein Fünftel wegen Corona noch nicht gebucht. Die Gründe für eine geringere Reiseintensität im Jahr 2020 liegen auf der Nachfrage- und der Angebotsseite: Erstens führt die Rezession zu steigender Arbeitslosigkeit, mehr Kurzarbeit und Einkommenseinbußen; manche Haushalte kürzen in dieser Zeit ihre Reisebudgets. Zweitens mussten manche Eltern einen Teil ihrer Urlaubstage während der Schließung von Kitas und Schulen für die Betreuung der Kinder einsetzen; diese fehlen nun für Urlaubsreisen. Drittens fühlen sich manche Reisende angesichts der potenziellen Gefahren durch das Coronavirus nicht in Urlaubsstimmung oder möchten auf Massenverkehrsmittel verzichten. Viertens sind einige beliebte Urlaubskonzepte 2020 nicht oder nur mit starken Einschränkungen möglich, weshalb manche Urlauber lieber auf eine entsprechende Reise verzichten. Fünftens könnten manche Pauschalreisen (z.B. Gruppenreisen) wegen zu geringer Buchungszahlen oder durch Insolvenz der Betreiber ausfallen. Sechstens werden einige Reiseziele in diesem Sommer wegen fehlender Nachfrage oder aufgrund von Reisebeschränkungen nicht angeflogen. Schließlich besteht siebtens für die meisten außereuropäischen Länder über den Sommer hinweg eine Reisewarnung.

Ein noch stärkeres Abrutschen der Urlaubsreiseintensität halten wir jedoch für wenig wahrscheinlich, denn in vielen europäischen Urlaubszielen hat sich die Corona-Krise seit April deutlich entspannt. Viele Unentschlossene dürften daher inzwischen bereit sein, zumindest eine kürzere Reise anzutreten. Ein Teil derjenigen, die eine Reise frühzeitig storniert hatten, dürfte inzwischen eine neue Reise (zu einem anderen Ziel) gebucht haben. Letztlich werden 2020 aber weniger Urlaubsreisen unternommen als in den Vorjahren.

Mehr Urlaub in Deutschland und heimatnahen Regionen
Bezüglich der Reiseziele kommt es 2020 zu deutlichen Verschiebungen. 2019 gingen 74% aller Urlaubsreisen ab einer Dauer von fünf Tagen ins Ausland. Der Auslandsanteil nahm in den letzten Jahren langsam, aber recht stetig zu. So entfielen 2014 erst 69% aller Reisen auf das Ausland. Die beliebtesten Reiseziele der Deutschen waren 2019 die klassischen Mittelmeerdestinationen, also Spanien, Italien sowie die Türkei. Dahinter folgten Österreich, Griechenland sowie Frankreich. Gleichwohl war auch im letzten Jahr Deutschland mit einem Marktanteil von 26% das mit Abstand beliebteste Reiseziel der Deutschen. Hier lag Mecklenburg-Vorpommern vor Bayern, Schleswig Holstein und Niedersachsen. Letztlich dominieren also Urlaubsreisen ans Meer oder in die Berge.

Im Sommer des Jahres 2020 dürften Reiseziele in Deutschland zu den Gewinnern zählen. Zwar haben Hotels während des Lockdown unwiederbringliche Umsatzeinbußen erlitten. Ein Teil dieser Verluste dürfte jedoch durch höhere Buchungen im Sommer ausgeglichen werden, zumal behördlich angeordnete Kapazitätsbegrenzungen in Hotels etc. wieder zurückgenommen worden sind. Der zusätzliche Umsatzimpuls in den besonders beliebten Ferienregionen Deutschlands wird jedoch dadurch begrenzt, dass diese in der Hochsaison auch in normalen Zeiten weitgehend ausgebucht sind; hier fehlen also schlicht Kapazitäten, um (deutlich) mehr Urlauber als im Vorjahr zu beherbergen. Höhere Umsätze könnten hier durch eine Anhebung der Preise generiert werden, was z.B. mit dem Erfüllen behördlicher Auflagen begründet werden kann (Hygienemaßnahmen). Letztlich könnten Ferienziele profitieren, die bislang nicht so weit oben auf der Prioritätenliste der Deutschen standen und die nicht Urlaub am Meer oder in den Bergen (Alpen) als Hauptmotiv anbieten. Für diese Urlaubsregionen – etwa die deutschen Mittelgebirge oder die Seenlandschaften im Nordosten Deutschlands – besteht 2020 also die Chance, auf sich aufmerksam zu machen und auch langfristig als mögliches Reiseziel in den Fokus mancher Urlauber zu rücken.

Zu den Gewinnern dürften ferner heimatnahe ausländische Reiseziele mit geringem Infektionsgeschehen zählen. Österreich ist hier zu nennen. Das Land dürfte zumindest in jenen Regionen in der Lage sein, freie Kapazitäten anzubieten, wo der Skitourismus normalerweise die Haupteinnahmequelle bildet; diese sind in normalen Sommern nämlich zumeist nicht vollständig ausgebucht. Wanderurlaub ist zudem eine Reiseform, bei der das Infektionsrisiko recht gering ist, was für viele Urlauber ein wichtiges Kriterium sein dürfte. Auch andere Ziele, die aus Deutschland heraus recht bequem mit dem Auto erreicht werden können, dürften 2020 viele Urlauber anziehen. Neben Österreich also der Norden Italiens, Teile Frankreichs, der Norden Kroatiens, die Niederlande, Polen oder Dänemark. Auch hier gilt: Ein zusätzlicher Umsatzimpuls ist nur dann möglich, wenn überhaupt freie Kapazitäten angeboten oder höhere Preise durchgesetzt werden können. Das dürfte in vielen Urlaubsländern jedoch der Fall sein, denn die Nachfrage von Reisenden aus anderen Ländern dürfte 2020 wegen der Rezession oder aufgrund von Reisebeschränkungen für Urlauber aus Herkunftsländern mit hohem Infektionsgeschehen schrumpfen. Die Schweiz dürfte aufgrund der grundsätzlich hohen Preise nur wenige zusätzliche Urlauber aus Deutschland anziehen.

Zu den Verlierern werden 2020 innerhalb von Europa jene Reiseziele zählen, die üblicherweise mit dem Flugzeug erreicht werden. Spanien ist hier an erster Stelle zu nennen. Viele spanische Urlaubsregionen dürften im Sommer 2020 seltener angeflogen werden als in den Vorjahren. Einbußen dürften auch bei Reisen in die Türkei, nach Griechenland, Ägypten oder Portugal zu verzeichnen sein.

Ganz klare Verlierer sind Fernreisen. Deren Anteil an den Urlaubsreisen der Deutschen war in den letzten Jahren langsam gestiegen. 2012 kamen sie auf einen Anteil von 7,2% aller Urlaubsreisen. 2019 waren es bereits 8,4%. Im Sommer des Jahres 2020 dürften Fernreisen weitgehend ausfallen. Die genannten Gründe auf der Nachfrage- und Angebotsseite sind hier relevant. Zu den Verlierern wird auch das Segment der Kreuzfahrten zählen, wo sich in den letzten 25 Jahren die Passagierzahl verzehnfacht hat. Kreuzfahrten dürften so lange unter der Corona-Krise leiden, bis es einen Impfstoff gegen das Virus gibt. Denn viele Urlauber werden wegen der begrenzten Möglichkeit, auf einem Schiff Abstand zu anderen Menschen zu halten, auf eine Kreuzfahrt verzichten. Die Branche dürfte versuchen, durch niedrige Preise einen Teil der Kunden wieder auf die Schiffe zu locken. Es wird jedoch einige Zeit dauern, bis die Einbußen aus der Krise wieder ausgeglichen werden können.

Reisedauer: Trend zu kürzeren Urlaubsreisen wird beschleunigt
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die durchschnittliche Reisedauer der Haupturlaubsreise der Deutschen stetig verringert. Lag diese 1983 noch bei mehr als 17 Tagen, waren es 2019 nur noch 13 Tage. Der Trend der letzten Jahre ging hin zu kürzeren, aber dafür mehr Reisen pro Jahr. Die Corona-Krise dürfte diese Entwicklung beschleunigen, wobei die Faktoren auf der Nachfrageseite dabei besonders relevant sind (Einkommenseinbußen, Arbeitslosigkeit, bereits verbrauchte Urlaubstage wegen des Lockdown).

Wahl der Verkehrsmittel: Renaissance des Autos
Das Auto hat in den vergangenen Jahren als Verkehrsmittel für die Urlaubsreise an Bedeutung verloren. 2019 wählten 43% der Deutschen das Auto als Verkehrsmittel. Im Jahr 2000 waren es noch 55%. Im gleichen Zeitraum hat das Flugzeug von 30% auf 42% zugelegt. 2020 könnte das Auto auf Marktanteile von (weit) über 70% kommen. Neben den zuvor erwähnten Faktoren (z.B. heimatnähere Urlaube) ist das fehlende Infektionsrisiko im eigenen Auto hierbei ein wichtiger Treiber. Sämtliche Alternativen zum Auto sind Massenverkehrsmittel. Radreisen dürften ebenfalls zu den Profiteuren zählen. Das immense Absatz-plus bei E-Bikes in der Corona-Krise ist hierfür ein Indiz.

Ausgaben der Deutschen im internationalen Reiseverkehr dürften 2020 um 10% bis 20% sinken
Die Veränderungen im Reiseverhalten durch die Corona-Krise werden sich auch in der deutschen Zahlungsbilanz niederschlagen. Traditionell weist Deutschland ein hohes Defizit bei den Zahlungen im internationalen Reiseverkehr aus. So lagen die Ausgaben der Deutschen im Ausland 2019 bei gut EUR 82 Mrd. Da-gegen erzielte Deutschland Einnahmen durch Zahlungen von Ausländern im Inland in Höhe von EUR 37,2 Mrd. 2020 könnten die Ausgaben der Deutschen im Ausland um 10% bis 20% sinken, weil weniger, kürzere und weniger teure Auslandsreisen unternommen werden. Die geringeren Einnahmen aus dem Tourismus sind ein Grund, warum unsere BIP-Prognose für klassische Urlaubsländer wie Spanien oder Italien pessimistischer ausfällt als für Deutschland. Auf der Einnahmenseite dürfte Deutschland 2020 ebenfalls erhebliche Einbußen erleiden, weil die Rezession auch auf Besucher aus dem Ausland durchschlägt und Reisende aus manchen Herkunftsländern mit Quarantäneauflagen belegt werden dürften oder eine Einreise nicht gestattet wird.

Tourismus bleibt Wachstumsbranche
Die internationale Tourismuswirtschaft zählt zu den Sektoren, die am stärksten von der Corona-Krise getroffen werden. Dies gilt hinsichtlich Ausmaß und Dauer der Krise. Länder, die große Teile ihrer Wirtschaftsleistung im Tourismus erwirtschaften, werden noch einige Quartale oder gar Jahre mit Einbußen im Vergleich zum Vorkrisenniveau rechnen müssen. Im Gegensatz zu früheren externen Schocks (09/11, SARS, Terroranschläge in Urlaubsorten) wird es dieses Mal deutlich länger dauern, bis sich der Tourismus wieder erholt und auf Wachstumskurs zurückkehrt. Letztlich bedarf es eines Impfstoffes, um die Folgen der Corona-Krise gänzlich zu überwinden. Und dennoch bleibt die Tourismuswirtschaft global eine Wachstumsbranche. Der Wunsch zu reisen und die Welt zu erkunden ist tief im Menschen verwurzelt. Die Urlaubsreise ist ein superiores Gut. Mit steigenden Einkommen geben die Menschen überproportional mehr Geld für Reisen aus. Sobald die gesundheitlichen Risiken durch das Coronavirus wieder minimiert und irgendwann eliminiert sind, wird sich das Wachstum in der Tourismuswirtschaft aus den letzten Jahrzehnten fortsetzen. Nach der Corona-Krise wird die klima- und umweltpolitische Regulierung des Sektors (vor allem des Verkehrs) wieder zur größten strukturellen Herausforderung im Tourismus. Es bedarf besserer technologischer Lösungen für klimaverträgliches Reisen. Ordnungsrechtliche Einschränkungen des Reiseverkehrs im Sinne des Klimaschutzes oder eine deutliche Verteuerung des Verkehrs über Steuern oder Abgaben dürften demokratisch vorerst nicht mehrheitsfähig sein.

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