Finanzen / Bilanzen

Brexit: Weiterhin Konsens über „Last Minute“-Deal am kontinentaleuropäischen Kapitalmarkt

Daniel Herdt, Senior Vice President und Portfoliomanager/Analyst im European Fixed Income-Team bei Lazard Asset Management, erläutert, vor welchen Herausforderungen Großbritannien im Endspurt der Austrittsverhandlungen mit der Europäischen Union (EU) steht und wie sich der Brexit auf die Märkte auswirken könnte. 

Welche Auswirkungen könnte die Wahl Joe Bidens zum nächsten US-Präsidenten auf die Verhandlungen zwischen Großbritannien und Europa haben? 

Daniel Herdt: Unser Basisszenario ist immer noch eine kurzfristige Einigung über ein Handelsabkommen. Höchstwahrscheinlich würde ein entsprechendes Übereinkommen die Details zu den wichtigsten Streitpunkten wie den Fischereirechten und gerechten Wettbewerbsbedingungen jedoch weiter zur Disposition stellen. Wenn die Wahl Joe Bidens überhaupt Auswirkungen auf die Verhandlungen hat, dann in der Form, dass Großbritannien stärker unter Druck gesetzt wird. Denn: Die besondere Beziehung zwischen Donald Trump und Boris Johnson erhöhte bislang die Wahrscheinlichkeit eines schnellen Handelsabkommens zwischen den USA und Großbritannien.

Welche Auswirkungen wird ein Brexit mit Austrittsabkommen auf beide Regionen haben?

Daniel Herdt: Ein geordneter Brexit mit niedrigen oder keinen Zöllen und einem reibungslosen Handel wäre für beide Seiten von Vorteil. Wirtschaftlich gesehen werden die Auswirkungen des Austritts Großbritanniens aus der EU zwar immer noch beträchtlich, aber aufgrund des langwierigen Prozesses für beide Seiten viel besser handhabbar sein. Wie genau sich ein solcher Ausstieg auf das britische Bruttoinlandsprodukt (BIP) auswirken würde, lässt sich jedoch nur schwer beziffern. Nichtsdestotrotz hat die Bank of England Anfang November für das erste Quartal 2021 einen einprozentigen Rückgang des britischen BIP aufgrund von Störungen der Handelsströme vorgemerkt, selbst wenn ein Handelsabkommen in Kraft treten sollte.

Wie wird sich dies auf die Assetklassen auswirken?

Daniel Herdt: Unseres Erachtens nach preisen die kontinentaleuropäischen Kapitalmärkte derzeit einen „Last Minute“-Deal zwischen Großbritannien und der EU ein. Wenn unser Basisszenario eintritt, erwarten wir daher eine kleine Risikorallye mit einem gedämpften Aufwärtsdruck auf die Renditekurven risikofreier Anlagen. Andere Faktoren, wie Corona-bedingte fiskal- und geldpolitische Anreize, Neuigkeiten zu Impfstoffen oder die US-Politik, dürften sich jedoch deutlich stärker auf die Bewertungen und Marktbewegung auswirken. Auf der anderen Seite könnte ein unerwarteter, harter Brexit zu einer deutlicheren Abkehr von Risiko-Anlagen führen.

Da jedoch immer noch eine „Brexit-Prämie“ für alle britischen Vermögenswerte eingepreist ist, dürfte die Volatilität in diesen Marktsegmenten am höchsten sein. Insbesondere das britische Pfund steht hier im Fokus. Da die Nettopositionen für das Pfund aktuell zum Verkauf tendieren, könnte es im Falle eines Deals sprunghaft aufwerten. Abgesehen davon würde ein harter Brexit die Bewertung des Pfunds unserer Ansicht nach deutlich weiter nach unten drücken. Dies spiegelt sich auch in den angestiegenen, impliziten Volatilitäten für Dollar-Pfund-Währungsoptionen wider.

Mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen in Schottland im nächsten Jahr: Halten Sie es für möglich, dass der bereits beschlossene und eingeleitete Brexit doch noch abgewendet werden kann?

Daniel Herdt: Wir erwarten nicht, dass die schottischen Wahlen einen nennenswerten Einfluss auf die Brexit-Verhandlungen haben. Ein schottisches Referendum dürfte zwar weiterhin einiges Interesse in der Presse hervorrufen, zumal dessen Ausgang den jüngsten Umfragen zufolge schwer vorherzusagen wäre. Jedoch ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Schottland Großbritannien in absehbarer Zeit verlassen wird. Die Scottish National Party wird die britische Regierung eher dazu zwingen, mehr Befugnisse an Edinburgh zu übertragen. Um auf den Kern der Frage zurückzukommen: Wir sehen derzeit nahezu keine Chance, dass der Brexit von der britischen Regierung abgesagt bzw. rückabgewickelt wird.

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