Energie- / Umwelttechnik

Wie viel ist Natur wert?

Almweiden, die uns mit Lebensmitteln versorgen. Bäume, die für ein angenehmes Mikroklima sorgen. Alpine Landschaften, die heilen und berühren. Anfang Juli 2021 diskutierten rund 100 Teilnehmende aus allen Alpenländern an der CIPRA-Jahresfachtagung in Biella/I über den Nutzen und den Wert der Natur im Alpenraum.

«Wenn man bei einem Auto nach und nach Teile entfernt, dann funktioniert es irgendwann nicht mehr», erklärte Riccardo Santolini, Ökologe an der Universität Urbino/I in seinem Vortrag. «Genauso ist es auch bei Ökosystemen, die trotz dem Verlust von Biodiversität weiter funktionieren – zumindest anfangs.» Gesunde Böden, saubere Luft und trinkbares Wasser sind Ökosystemleistungen von grundlegender Bedeutung für das menschliche Wohlergehen, man kann sie als Gemeingut bezeichnen. Gerade Bergregionen erbringen viele dieser Leistungen. Dass diese auch medizinisch relevant sind, zeigte Arnulf Hartl, Leiter des Instituts für Ökomedizin der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg/A. «Unser Alpenraum ragt wie eine Insel aus einem Meer von Feinstaub.» Wasserfälle gegen Allergie und Asthma, Bergwandern gegen Depression oder Alm-Exposome zur Prävention immunologischer Erkrankungen: Zahlreiche Studien belegen, welch «enormes Potenzial zu Prävention, Kuration und Rehabilitation stadt-assoziierter Erkrankungen» der Alpenraum bietet, so Hartl.

Bunte Kartoffeln und grüne Städte

«Unter einem Baum ist es vier bis sechs Grad kühler», erklärte Madeleine Rohrer vom Projekt Verdevale. Sie präsentierte mit GreenSpaces eine innovative, digitale Lösung für eine effiziente Pflege der urbanen Grünflächen in Bozen/I und Lugano/CH. «Mit Daten über Anzahl, Standort und Zustand der kommunalen Grünflächen, können wir diese besser verwalten und so zum Wohlergehen in der Stadt beitragen.» Laura Secco, Professorin an der Universität Padua/I, zeigte am Beispiel des Forest Stewardship Council (FSC) die Rolle internationaler Zertifizierungen von Ökosystemleistungen – ein Ansatz der auch auf Kritik stiess. Bunte Kartoffeln und Kastanien, Wein und Weidewirtschaft: Auch Landwirt:innen aus der Region um Biella teilten an der Tagung ihre Erfahrungen ihrem alpinen Arbeitsalltag. Naturschutzgebiete in Belluno/I, Jugendbeteiligung in Tolmin/SI oder Verkehrsberuhigung in Chamonix/F: Am runden Tisch erzählten Gemeindevertreter:innen, wie sie ihre Städte lebenswerter und sozialer gestalten.

Zwischen Ökologie und Ökonomie

«Die ökonomische Sprache der Ökosystemleistungen ist erst mal befremdlich,» meinte Bianca Elzenbaumer, Co-Präsidentin von CIPRA International. Es könne jedoch strategisch Sinn machen, die Welt durch die Brille der Ökosystemleistungen zu beschreiben, «damit wir eine Sprache sprechen, die auch von Politik und Wirtschaft verstanden wird.» Ein Modell sei immer nur ein Teil des Ganzen, sagte auch Vanda Bonardo, Präsidentin von CIPRA Italien. Dennoch sei es ein wichtiges Instrument, um die Beziehung zur Natur neu zu bewerten. Die ökologische Wende sei nur realisierbar, wenn sich die Wirtschaft auf eine hohe ökologische Qualität, die Wiederherstellung, Bewahrung sowie Aufwertung der natürlichen Ressourcen konzentriere. «Mit diesem Zugang schlagen wir eine Brücke zwischen Ökologie und Ökonomie.» Andreas Muhar von der Universität für Bodenkultur in Wien/A, Mitglied des Sounding Boards von CIPRA International, bezeichnet das Konzept der Ökosystemleistungen als eines von vielen in der aktuellen politischen Diskussion. «Um Menschen zu aktivem Engagement für Nachhaltigkeit und Naturschutz zu motivieren, braucht es aber Erzählungen, die eine emotionale Bindung bewirken», meint Muhar. Serena Arduino, Co-Präsidentin von CIPRA International, stellte fest: «Die Alpen können einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung der Biodiversität auf globaler Ebene sowie zur Wiederherstellung von Ökosystemen leisten. Deshalb wird CIPRA weiterhin gute Beispiele in die Welt tragen und diese Diskussion anregen.»

Umrahmt wurde das Programm mit einem öffentlichen Festakt zur Verleihung des Titels «Alpenstadt des Jahres 2021» an Biella/I. Rund um die Jahresfachtagung fand ausserdem das erste physische Treffen von Re.sources statt, einem Jugendprojekt der CIPRA gefördert von Erasmus+ rund um das Thema persönlicher und alpiner Ressourcen. CIPRA Italien und CIPRA International organisierten die Jahresfachtagung mit Unterstützung der Stadt Biella, dem Verein «Alpenstadt des Jahres» und der Stiftung Cassa di Risparmio di Biella.

Neue Doppelspitze für die CIPRA

Bianca Elzenbaumer und Serena Arduino sind die neuen Co-Präsidentinnen von CIPRA International. Sie folgen der seit knapp sieben Jahren amtierenden Katharina Conradin nach. An der Delegiertenversammlung der CIPRA am 1. Juli 2021 wurden die zwei Italienerinnen einstimmig gewählt. Erstmals seit der Gründung 1952 stehen somit zwei Frauen an der Spitze von CIPRA International.

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