Finanzen / Bilanzen

„Wirtschaftspolitische Reaktion hat Schlimmeres verhindert“

Die deutsche Wirtschaft hat den konjunkturellen Tiefpunkt in Folge der Corona-Pandemie hinter sich und schwenkt im dritten Quartal 2020 auf einen moderaten Erholungspfad ein. Das Niveau vor Ausbruch der Krise wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) aber wohl erst 2022 wieder erreichen. Im Jahresdurchschnitt 2020 schrumpft die Wirtschaftsleistung um 6,2 Prozent, 2021 wird das BIP um 3,8 Prozent im Jahresmittel wachsen. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in seiner neuen Konjunkturprognose.* Anders als bei ihrer letzten Vorhersage im April sehen die Forscher diesmal allerdings nicht nur das Risiko, dass sich ihre Prognose als zu optimistisch herausstellen könnte, wenn es eine massive zweite Infektionswelle gibt. Sie halten es auch für möglich, dass die reale Entwicklung etwas besser verlaufen könnte, wenn die Politik in Deutschland und Europa weiterhin entschlossen gegensteuere: Das Konjunkturpaket der Bundesregierung, die deutlich expansivere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und die absehbare gemeinsame Kreditaufnahme der EU-Staaten zur Finanzierung eines Europäischen Aufbaufonds "wirken stabilisierend und könnten eine etwas stärkere Erholung auslösen als hier erwartet", schreiben die Ökonomen. Das wäre auch mit Blick auf die Beschäftigung wichtig. Zwar können die breit angewandte Kurzarbeit sowie die übrigen umfangreichen Stabilisierungsmaßnahmen nach der IMK-Prognose den Schaden auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zum dramatischen Einbruch beim BIP stark abpuffern. Trotzdem steigt die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 2020 um rund 500.000 und 2021 um weitere 130.000 Personen (alle weiteren Daten unten). Die Prognose wird heute per Video-PK vorgestellt.

Gegenüber der Prognose von Anfang April senkt das IMK seine BIP-Vorhersage für 2020 um 2,2 Prozentpunkte ab (-6,2 Prozent gegenüber -4,0 Prozent). Für 2021 heben die Ökonomen die Prognose um 1,4 Prozentpunkte an.

"Die Wirtschaftspolitik in Deutschland hat auf vielen Feldern schnell das Richtige getan, um die ökonomischen Folgen dieser dramatischen Krise zu mildern", sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK. Das gelte mit Abstrichen auch für das Konjunkturpaket von Anfang Juni: Zwar hätten die 20 Milliarden Euro, die die zeitweilige Mehrwertsteuersenkung den Fiskus kostet, effektiver eingesetzt werden können – beispielsweise in Form eines höheren Kinderzuschlags. "Aber insgesamt geht in diesem und im kommenden Jahr ein nennenswerter positiver Impuls auf den Konsum und die Investitionen aus", betonen Dullien und seine Ko-AutorInnen. Um die wirtschaftlichen Härten, die die Krise gleichwohl für Millionen Menschen bringt, weiter zu mildern, solle die deutsche Regierung allerdings spätestens 2021 noch einmal mit weiteren nachfragesteigernden Maßnahmen nachlegen. Diese könnten und sollten so gestaltet sein, dass sie zugleich einen Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels leisten und darauf zielen, die Innovationsfähigkeit der deutschen Industrie weiter zu stärken. Dazu geeignet sei es, öffentliche Investitionen vorzuziehen, private Investitionen mit positiver ökologischer Wirkung stärker zu fördern und die Qualifizierung für zukunftsfähige Berufe auszubauen.

Finanzielle Reserven für entsprechende Investitionen seien vorhanden, betonen die Ökonomen. So steige zwar in diesem und im kommenden Jahr die Staatsverschuldung kräftig an. Die jährlichen Ausgaben für den Schuldendienst seien hingegen weiterhin rückläufig, weil der Bund auch längerfristige Kredite zu Negativzinsen aufnehmen und ältere Verbindlichkeiten günstig umschulden könne.

Auf europäischer Ebene sei einiges erreicht, wenn der Vorschlag der EU-Kommission zu einem europäischen Recovery Plan ohne Verwässerungen umgesetzt werde, so das IMK.

Kerndaten der Prognose für 2020 und 2021 (siehe auch Tabelle 3 im Report; Link unten)

– Arbeitsmarkt –

Der außerordentlich massive wirtschaftliche Einbruch mache "eine erfolgreiche Beschäftigungssicherung aktuell viel schwieriger als in der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009", schreiben die Konjunkturexperten. Es deute bislang aber einiges darauf hin, dass etwa die Kurzarbeit auch längerfristig "angenommen wurde und die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungssicherung erneut gelingen könnte." Das gelte vor allem bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Selbständige seien dagegen trotz massiver staatlicher Soforthilfen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen, auch die Zahl der Minijobber gehe vergleichsweise stärker zurück. Unter dem Strich wird die Zahl der Erwerbstätigen nach Erwartung des IMK im Jahresdurchschnitt 2020 beträchtlich sinken – um 1,0 Prozent. Im kommenden Jahr geht die Erwerbstätigkeit trotz prognostizierter wirtschaftlicher Erholung noch einmal um 0,3 Prozent zurück, weil der Arbeitsmarkt zeitversetzt reagiert.

Die Zahl der Arbeitslosen steigt 2020 um durchschnittlich etwa 500.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,76 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 6,0 Prozent. Für 2021 erwartet das IMK, dass die Arbeitslosenzahl um weitere 130.000 Personen im Jahresdurchschnitt zunimmt. Die Quote steigt auf 6,3 Prozent.

Die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit habe mit rund sechs Millionen ihren Höhepunkt erreicht, so die Forscher. Im Jahresdurchschnitt 2020 rechnet das IMK mit knapp zwei Millionen Kurzarbeitenden, 2021 mit 650.000.

– Außenhandel –

Auch die meisten wichtigen Handelspartner durchlaufen 2020 durch die Corona-Pandemie eine tiefe Rezession, an die sich laut IMK-Prognose 2021 aber eine gewisse Erholung anschließt. So sinkt das BIP in der gesamten EU in diesem Jahr um 7,5 Prozent, im kommenden Jahr steigt es um 5,9 Prozent. Die Wirtschaft in den übrigen großen Euro-Ländern Frankreich, Italien und Spanien leidet 2020 noch deutlich stärker als in Deutschland, ihr BIP wird jeweils um rund neun Prozent einbrechen. Für 2021 prognostiziert das IMK dann in Frankreich und Italien ein Wachstum von rund fünf Prozent, das spanische BIP wird um etwa sieben Prozent zunehmen. In den USA schrumpft die Wirtschaft 2020 um 6,3 Prozent, 2021 wächst sie dann wieder um 3,4 Prozent. Die chinesische Wirtschaft wird nach der IMK-Prognose in diesem Jahr nahezu stagnieren (0,2 Prozent), 2021 dann um 8,0 Prozent zulegen.

Die weltwirtschaftliche Krise trifft die deutschen Ausfuhren in diesem Jahr schwer. Das IMK rechnet mit einem Rückgang der Exporte um 12 Prozent. Die Importe brechen ebenfalls ein und nehmen um 10,4 Prozent ab. Im kommenden Jahr erholt sich der Außenhandel dann etwas, die Verluste können aber zunächst bei Weitem nicht wettgemacht werden: Die Exporte nehmen im Jahresmittel 2021 um 4,1 Prozent zu, die Importe um 6,5 Prozent.

– Investitionen –

Auch die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen brechen infolge des Corona-Schocks drastisch ein und sinken 2020 um 18,6 Prozent im Jahresdurchschnitt. 2021 nehmen sie dann um 7,7 Prozent zu. Die Bauinvestitionen bleiben in der Krise relativ robust, wobei Wohnungsbau und öffentliche Vorhaben zulegen, während der Wirtschaftsbau lahmt. Unter dem Strich nehmen die Bauinvestitionen 2020 um jahresdurchschnittlich 3,5 Prozent und 2021 um 3,0 Prozent zu.

– Einkommen und Konsum –

Die verfügbaren Einkommen gehen im Jahresdurchschnitt 2020 real um 1,5 Prozent zurück. 2021 nehmen sie real um 1,2 Prozent zu. Die realen privaten Konsumausgaben brechen laut IMK in diesem Jahr sogar um durchschnittlich 4,8 Prozent ein, weil neben den Einkommensrückgängen die zeitweilige Schließung von Gastronomie, Geschäften und Dienstleistungseinrichtungen durchschlägt. Die Sparquote steigt in diesem Jahr stark um 3,2 Prozentpunkte (auf 14,1 Prozent) und sinkt 2021 im gleichen Umfang wieder. Für das kommende Jahr prognostizieren die Ökonomen bei den privaten Konsumausgaben dann eine reale Zunahme um 4,7 Prozent

– Inflation und öffentliche Finanzen –

Die Verbraucherpreise steigen im Jahresmittel 2020 um sehr niedrige 0,5 Prozent, wozu auch die zeitweilige Mehrwertsteuersenkung beiträgt. 2021 liegt die Inflationsrate dann wieder bei 1,2 Prozent im Jahresdurchschnitt, bleibt aber auch damit deutlich hinter der Zielinflation der EZB zurück.

Da der Staat zur Krisenbekämpfung sehr viel Geld einsetzt und 2020 gleichzeitig auch die Steuereinnahmen voraussichtlich um gut 10 Prozent zurückgehen, ergibt sich nach acht Jahren mit Überschüssen ein gesamtstaatliches Budgetdefizit von rund 198 Milliarden Euro oder 6,0 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr wird sich die erwartete konjunkturelle Belebung positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken. Die Steuereinnahmen steigen nach der IMK-Prognose um 9,1 Prozent, obwohl der Solidaritätszuschlag für mittlere Einkommen wegfällt. Die Staatsausgaben stagnieren. Das gesamtstaatliche Defizit beträgt 2021 knapp 100 Milliarden Euro oder 3 Prozent des BIP. Die gesamtstaatliche Schuldenquote wird als Folge der Krise Ende 2021 deutlich über 70 Prozent liegen, so das IMK. Trotz der erheblichen Neuverschuldung dürfte der Betrag, den der Staat für Zinszahlungen aufwenden muss, aber in beiden Jahren sinken. Hintergrund: Die öffentliche Hand kann sich nach wie vor zu Negativzinsen verschulden und zudem bestehende Kredite zu niedrigeren Zinsen ablösen.

*Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober, Sebastian Watzka: Wirtschaftspolitische Reaktion mildert Corona-Einbruch: Verhaltene Erholung in Sicht. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2020/2021. IMK Report Nr. 160, Juni 2020. Download: https://www.boeckler.de/…

Kernergebnisse der Prognose im Audio-Statement von IMK-Konjunkturforscher Peter Hohlfeld: https://bit.ly/37umbqq

Mehr zu den wirtschaftlichen Perspektiven erfahren Sie von IMK-Direktor Sebastian Dullien in SYSTEMRELEVANT, unserem Wirtschafts-Podcast zur Corona-Krise ab ca. 11:00 Uhr auf dieser Seite: https://systemrelevant.podigee.io/…

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