Forschung und Entwicklung

Forschungs- und Innovationspolitik: Licht und Schatten im Koalitionsvertrag

– Ganzheitliche Forschungs- und Innovationsstrategie erforderlich
– Forschungs- und Innovationspolitik in der Pflicht, Beitrag zur Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu leisten
– Deutschland mit technologischen Rückständen
– Bedarf an verstärkter interministerieller Koordination
– Agenturen in Forschungs- und Innovationspolitik kein Allheilmittel
– Evaluation der Förderarchitektur angeraten

Das neue Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), dessen Übergabe zunächst aufgrund der aktuellen politischen Lage verschoben werden musste, wurde heute an Ministerin Stark-Watzinger überreicht. Es nimmt u.a. Stellung zu forschungs- und innovationspolitischen Vorhaben der Ampel-Koalition. „Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag wichtige Aufgaben der Forschungs- und Innovationspolitik benannt und in den Dienst der Transformationen zu einer sozial-ökologischen Wirtschaft und Gesellschaft gestellt “, so der Vorsitzende der Expertenkommission, Prof. Dr. Uwe Cantner von der Universität Jena und Vorsitzender der EFI. „Es gilt nun, hierzu eine ganzheitliche Forschungs- und Innovationsstrategie zu entwickeln, die den gesamten Innovationsprozess umfasst und, insbesondere auch zeitlich, aufeinander abgestimmte Förderprioritäten benennt. Diesbezüglich ist der Koalitionsvertrag noch sehr vage geblieben.“

Die Expertenkommission sieht die Forschungs- und Innovationspolitik in der Pflicht, gemeinsam mit anderen Politikfeldern zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen. „Technologische Neuerungen und innovative Geschäftsmodelle sowie soziale Innovationen sind das A und O der laufenden Transformationsprozesse – wie der Energiewende, der Mobilitätswende oder der Digitalisierung. Damit verbundene Strukturveränderungen sozialverträglich zu gestalten, ist entscheidend für transformativen Erfolg,“ betont Uwe Cantner.

„Ohne eine starke wirtschaftliche Position Deutschlands allerdings werden sich diese Herausforderungen nicht bewältigen lassen“, so Uwe Cantner weiter. Daher, so die Expertenkommission, muss sich Deutschland auch im transformativen Wandel als Innovationsstandort behaupten. Zunehmend treten neben den USA asiatische Länder als Anbieter wichtiger Zukunftstechnologien auf, allen voran China. Gerade bei den digitalen Technologien hinkt Deutschland bereits hinterher. Uwe Cantner fordert: „Die deutsche Politik muss noch aktiver werden, wenn es darum geht, technologische Rückstände aufzuholen. Bei den digitalen Technologien brauchen wir jetzt einen Booster.“ So etwa ist die Umsetzung der von der vorherigen Bundesregierung aufgesetzten KI-Strategie bislang eher schleppend verlaufen. Im Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien zwar angekündigt, Investitionen in künstliche Intelligenz zu stärken, jedoch keine detaillierte Richtung vorgegeben, wie mit der KI-Strategie weiter verfahren werden soll. Die Expertenkommission mahnt an, Innovationen insbesondere in diesem wichtigen Bereich der digitalen Technologien zügig voranzutreiben.

Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen hatte sich die Expertenkommission dafür ausgesprochen, ein Digitalisierungsministerium einzurichten und es mit Strukturen und Prozessen auszustatten, die agiles Politikhandeln ermöglichen. Die Regierungsparteien haben sich jedoch gegen die Einrichtung eines Digitalministeriums entschieden. Umso mehr sieht die Expertenkommission die Bundesregierung nun gefordert, die digitalpolitischen Aktivitäten der verschiedenen Ressorts straffer als in der Vergangenheit zu koordinieren und aufeinander abzustimmen. Dazu müssen neben den Zuständigkeiten der verschiedenen Ressorts auch die Schnittstellen klar definiert werden und durch entsprechende ressortübergreifende Projektteams oder Taskforces eine strukturelle Verankerung erhalten.

Nicht nur in der Digitalpolitik hält es die Expertenkommission für angezeigt, die Politikmaßnahmen der verschiedenen Ressorts intensiver als bisher aufeinander abzustimmen. Beispielsweise ist auch bei der Verfolgung der ambitionierten Klimaziele eine verstärkte Koordination verschiedener Politikfelder erforderlich. „Es reicht nicht aus, die Entwicklung CO2-armer Technologien mit Hilfe von Förderprogrammen zu unterstützen, sondern es müssen auch die geeigneten Rahmenbedingungen für die Diffusion dieser Technologien geschaffen werden,“ erläutert Uwe Cantner. Die Expertenkommission misst hierbei der CO2-Bepreisung eine besondere Bedeutung zu. Einer zügigen Markeinführung vieler bereits marktreifer nachhaltigkeitsorientierter Innovationen, beispielsweise im Mobilitäts- und im Energiebereich, steht ein zu niedriger CO2-Preis entgegen.

Um die mit dem transformativen Wandel einhergehenden neuen Wertschöpfungs-potenziale zu erschließen, sollte die Forschungs- und Innovationspolitik einen möglichst breiten Kreis von Akteuren ansprechen. Die Expertenkommission begrüßt die Absicht der Regierungsparteien, eine umfassende Start-up-Strategie zu entwickeln. Sie spricht sich dafür aus, den von der Vorgängerregierung gestarteten Zukunftsfonds um ein Modul für Impact Investing zu ergänzen, bei dem neben der Renditeerzielung auch langfristig messbare soziale, umwelt- und klimabezogene Ziele verfolgt werden. Zudem unterstützt die Expertenkommission das Vorhaben der Regierungsparteien, ein Modul speziell für Gründerinnen zu entwickeln.

Im Koalitionsvertrag erfahren Ausgründungen aus der Wissenschaft eine besondere Beachtung. Die Expertenkommission sieht es als essenziell an, die Gründungs- und Transferinfrastruktur an Hochschulen erheblich zu professionalisieren, die Prozesse zu entbürokratisieren und strukturell um Maker-Spaces und ähnliche Formate zu ergänzen.

Mit dem Ziel, anwendungsorientierte Forschung und Transfer sowie Innovationsökosysteme zu stärken, planen die Regierungsparteien die Gründung einer Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI). Die Expertenkommission sieht die Gründung solch einer Agentur mit Skepsis. Uwe Cantner konstatiert: „Neue Agenturen sind kein Allheilmittel. Statt eine neue Institution zur Förderung des Transfers aufzubauen, sollte die Bundesregierung die bestehenden Strukturen mit dem Ziel reformieren, Effizienz- und Agilitätspotenziale zu heben.“

Die Expertenkommission regt abschließend an, eine Evaluation der gesamten Förderarchitektur anzustoßen. Hierzu führt Uwe Cantner aus: „Die Forschungs- und Innovationspolitik ist in den letzten Dekaden immer komplexer geworden. Es wäre deshalb sinnvoll, Redundanzen bei der Forschungs- und Innovationsförderung zu ermitteln und Förderlücken zu identifizieren.“

Über Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI)

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.

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